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FC - FC St. Pauli: Come undone

Als Richard Sukuta-Paso die letzte Großchance für den FC St. Pauli knapp über den Kasten von Keeper Mondragon köpfte, Schiedsrichter Dingert die Pfeife in den Mund nahm und dem Leiden ein Ende setzte war es anders als sonst in Müngersdorf. Der FC hatte gewonnen!

Aber die Gesichtsausdrücke auf den Zuschauerrängen waren wie eh und je: Aschfahl, vom Grauen der letzten 45 Minuten gezeichnet, verbittert. Nichts deutet darauf hin, dass der 1.FC Köln gerade seine ersten Punkte in der neuen Saison eingefahren hatte. Wäre ein Unbeteiligter durch die Reihen gegangen, wäre er nicht auf Idee gekommen dass hier Heimfans mit drei Punkten nach Hause geschickt werden. Sogar im Sieg ist der FC 2010 in der Lage zu verlieren. Un-fass-bar!

Die Vorraussetzungen für einen schönen Fußball-Nachmittag sind in Köln ja eigentlich immer da. Die Hütte ist voll, die Zuschauer/Fans sind Leid gewohnt, lassen sich jedoch nicht beirren und halten
der Mannschaft stets die Treue. Das Wetter war “so naja” aber für ein Bundesligaspiel annähernd ideal. Eigentlich gab es nur zwei Optionen: Sieg für den FC, dann darf der Trainer weiter machen, Niederlage oder Unentschieden und der Druck auf die Verantwortlichen wäre vermutlich zu groß geworden. Einer Entlassung des Übungsleiters hätte nichts mehr im Weg gestanden. Nach dem Spiel muss man diese Szenarien um eine dritte Möglichkeit erweitern: Sieg, trotzdem und mit Nachdruck: Soldo raus!

Fangen wir mal mit den guten Dingen an: Die erste Halbzeit war eine deutliche Steigerung zu den ersten Auftritten der Mannschaft. Podolski mit bärenstarker Präsenz  und wirklichen Ansätzen als Führungsspieler. Der junge Christian Clemens spielte unbekümmert auf, sorgte für reichlich Wirbel. Nur der sehr starke Thomas Kessler (wer hat den eigentlich noch mal gehen lassen?) rettete den Hamburgern den knappen Pausenrückstand. Ob ich jetzt den Sieg des FC in die Kategorie “gut” einordnen soll, weiß ich noch nicht. Vielleicht steht am Ende dieses Textes ein Fazit aber erstmal ist hier Ende mit “gefällt mir”.

So. Durchatmen. Kragen frei machen. Krzzz, brzzz, mrzzz…

Hallo Köln? Hören Sie mich? Wir haben da ein Problem:
HERRGOTT! So eine unglaublich schlechte zweite Halbzeit gibt es ja eigentlich gar nicht. Was sagt der Soldo den Leuten in der Kabine? Bloß nicht so weiterspielen? Warum greift ihr schon im Mittelfeld an? Was fällt euch eigentlich ein so oft auf´s Tor zu schießen? Wir spielen hier nicht für schönes Wetter sondern unkontrollierten Abwehrkampf, schlagt die Bälle einfach raus! Merkt Euch das mal!

Oder gibt es eine rationale Erklärung warum der FC ab der 46. Minute das Spiel (wieder mal) völlig und vollständig einstellte? Wie kann es sein, dass jeder fußballerische Witz verloren ging, ja, sogar der Einsatz wurde zurück geschraubt. Das ist doch nicht mehr normal. Ich habe zwar nie hochklassig Fußball gespielt, doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man eine Halbzeit anständigen, kombinationslastigen, einsatzfreudigen Willen zeigt, nur um dann nach der Pause mim Arsch kaputt zu machen, was man sich vorher mühsam mit den Händen aufgebaut hat. Das widerspricht doch der Natur eines Leistungssportlers.

Nehmen wir mal Podolski: In der ersten Hälfte stets anspielbar, mit hohem Laufpensum, einer enormen Einsatzfreude und dem unbedingten Willen zum Sieg. Da war er wieder, der Poldi, der uns im ersten FC-Leben so viel Freude bereitet hat. Nach dem Wechsel wurde er dann wieder Opfer der Taktik, wurde von keinem Mannschaftsteil mehr unterstützt, hatte zwar in der 80. Minute noch eine wunderbare Chance als er Kessler überlupfen wollte, dieser aber erneut sehr gut reagierte. So gab es leider kein Cameo des  1.FC Saarbrücken. Egal! Er spielte zwei völlig unterschiedliche Halbzeiten und war in Beiden der beste Kölner. Da stimmt doch irgendwas grundlegendes nicht. Entweder ist die Mannschaft mental unglaublich schwach, wird von Versagensängsten heimgesucht oder aber der Trainer hat in der Pause auf die Bremse getreten und den Rückzug befohlen. Im Vergleich zu unserer Mannschaft muss man ja sogar dem Franzosen “Tapferkeit vor dem Feind” zugestehen. Bei beiden Szenarien ist der Trainer verantwortlich. Meine Schlüsse daraus kennt Ihr, ich will nicht jede Woche dasselbe schreiben.

Dass das Ergebnis diesmal stand hielt ist nur mit Glück zu erklären. 32,5 cm stand Sukuta-Paso im Abseits, sonst hätten wir wieder mit halbwegs leeren Händen dagestanden. Man muss der Abwehr zwar zugute halten, dass sie einen besseren Eindruck als gegen Bremen machte, dies ist jedoch einfach die logische Konsequenz aus der Genesung von Pedro Geromel, der alle Hände voll zu tun hatte die abenteuerlichen Versuche von Andrézinho  auf rechts für Ordnung zu sorgen auszubügeln. Dabei muss ich zugeben dass mir der neue Brasilianer nach vorne deutlich besser gefallen hat als Brecko aber nach hinten war das doch sehr “gewöhnungsbedürftig”.

Weiter vorne aber immer noch rechts stand Sebastian Freis wieder einmal völlig neben sich. Mit diesem Auftritt dürfte sich der Mann hoffentlich endgültig aus der Mannschaft gespielt haben. Für einen Erstliga-Spieler war das untauglich. Leider scheint das aber das Leistungsvermögen von Freis abzudecken. Mehr kommt da wohl nicht.

Mittig stand Pezzoni wieder im Destroyer-Modus parat, Fuß dazwischen, grätschen, laufen, ackern, alles ohne jeden Vorwurf aber die Frage muss gestattet sein ob sein Spiel nicht doch ein wenig zu sehr…hmm…80s ist. Ins Museum of modern Art kommt er damit auf jeden Fall nicht. Geromel noch ein wenig fahrig nach vorne aber mit konzentrierter Leistung. Ein Glück, dass er wieder dabei ist.

Links versuchte sich Fabrice Ehret erneut als “Flügelflitzer”. Naja. Ich mag den Franzosen ja sehr und kann mir sogar seine Musik anhören aber, hey, für wirkliche Gefahr sorgte er nicht.

Mato Jajalo durfte erneute von Beginn an ran, war in der ersten Halbzeit sehr aktiv, hatte ein paar gute Ideen, verschlampte aber kurz nach Pause die Entscheidung und damit die Ruhe, die so dringend nötig gewesen wäre. Trotzdem ein Auftritt mit dem ich gut leben kann. Er ist ja nun auch noch sehr jung, hat keine Bundesliga-Erfahrung. Wenn er darauf aufbaut wär´s nicht das Schlechteste.

Soldos griff in die Überraschungskiste fand seinen Höhepunkt in der Nominierung von Clemens. Ein äußerst erfrischender Auftritt des Youngsters lassen diese Entscheidung des Coachs als Erfolg in die Geschichtsbücher eingehen. Muss ja auch mal sein.

Aber dennoch bleibt es für mich Aktionismus. Und wenn ich Novacovic draußen lasse, wie erkläre ich dann den
Einsatz von Freis? Vielleicht spielen wir ja auswärts bei den Bayern mit einer Doppelspitze Nova/Clemens und dahinter Podolski? Wohl eher nicht aber die Idee gefällt mir.

Als Fazit: Gute Ansätze waren vorhanden, jedoch gilt immer noch “Angst essen Seele auf”. Gegen den FCB gibt es zum Glück nichts zu fürchten. Und gut ausgesehen haben wir in München doch eigentlich immer. Also fast. Ich erinnere da nur an einen gewissen Karnevals-Samstag und dann kommt aus der Mitte Brosinski und er muss doch nur den Fuß hinha….jaaaaaaaaaaaa!

Mal schauen, was sich Soldo die Woche über ausdenkt. Ich bin auf alles vorbereitet. Hoffe ich.

[Update: Der Nachbericht von Jekylla befindet sich hier]

12 comments to FC – FC St. Pauli: Come undone

  • […] Und mit den Augen eines Kölners von meinem kürzlichen Gastautoren das hier. […]

  • Ok, jetzt verstehe ich die seltsame Gemütslage der mit mir S-bahnreisenden Kölner besser.
    War eine sehr merkwürdig anmutende Atmosphäre, aber ich war ja durch unseren Blogtausch schon ein bißchen vorgewarnt über den Zustand der Kölner Seele.

    Da ich noch zu dem romantischen Schlag gehöre, für den die Fanfreundschaft doch noch Aktualität besitzt, blutet zwar mein braunweißes Herz, aber Sie können die drei Punkte ja auch gebrauchen. Und dann auch wieder nicht. Vertrackte Situation.

    Was ich bei uns nicht verstehe, ist, dass man Poldi über weite Strecken so unbeaufsichtigt gelassen hat wie ein Kind in der IKEA-Hüpfburg. Der Trainer hat mit Sicherheit nicht die Devise ausgegeben, dass der Mann völlig ungefährlich im 16er-Bereich ist und man den links liegen lassen soll. Oder mittig.

    Und den Kessler, den schminken Sie sich mal im Fall unseres Klassenerhalts ab, den geben wir nicht mehr her! Aber bis dahin ist das auch noch ein hartes Stück Arbeit *seufz

  • Nunja, jetzt ist der Podolski ja auch nicht irgendwer, sondern -wenn er denn Lust hat- schon einer von den Guten, nicht wahr? Ohne jetzt die elitäre Arroganz des Kölner Publikums zu unterstützten aber an dem können ganz andere Hintermannschaften ins Schwimmen kommen. Und einen Schuss hat er halt auch. Mit links. Kawumm. Da muß man dann schon aufpassen.

    Der Kessler ist mit ziemlicher Sicherheit der Kandidat für die Nach-Mondragon-Ära im Kölner Tor. Das will er, das wollen die Fans, das kann sich der Meier nicht leisten den bei Euch zu lassen, sorry. (Natürlich kann das auch wieder ganz anderes kommen und ich steh wieder doof da, klar.)

    Wir brauchten die Punkte. Wir brauchen aber auch einen neuen Trainer (Pele Wollitz hat eben im DSF sehr offensiv für sich Werbung gemacht :-)) insofern ist es wirklich ein Dilemma. Vielleicht reicht ja eine zweistellige Niederlage in München um das Blatt zu wenden, die Stimmung ist jedenfalls nicht gut in Köln, es muß etwas passieren!

  • Wenn er denn Lust hat. An Podolski mag ich ja am liebsten seine wunderbaren Interviews 🙂
    Nein, stimmt ja, ist er, und gerade deswegen hätte man ihn mit allem umgeben sollen, inklusive Stacheldraht. War mir zu wenig.

    Der Kessler ist seit gestern hoch im Handel als der Kandidat für die Nach-Hain-Ära im St. Pauli Tor. Das wollen schon eine ganze Menge und das nach nur einem Auftritt.
    Szenarien für eine diesbezügliche Entwicklung kann man einige stricken, bei dem einen sehen wir gut aus, bei dem anderen Sie. Einer steht dann doof da. Ich biete mich da auch immer gerne unfreiwillig an.

    Der Wollitz ist auf jeden Fall ein komplett anderer Typ als Soldo, das steht fest. Das kann ja schon reichen.

    Mal sehen, was genau passiert in Köln und um Köln herum.

  • seite12

    Bezüglich des Innenverteidigers! Schau mal auf der Südtribuene und notfalls auf der ZDF Videotext Statistik. Gar nicht mal so schlecht! Hat sich was getan seit dem Bremen Spiel. (O.k., dadurch das Geromel wieder dabei war). Zu Freis. Er ist halt keiner für außen…

  • Was wäre denn, wenn so … sagen wir mal, als Zeichensetzung und vertrauensbildende Maßnahme Soldos Vertrag verlängert werden würde? Würde über Köln dann der Ausnahmezustand verhängt?

  • Also vorzeitig verlängert zum Beispiel…

  • Puh, das meinen Sie jetzt nicht ernst, oder? Werden hier Schreckensszenarien aufgebaut oder ist das psychologische Kriegsführung? Dem Gegner die Hoffnung nehmen und dadurch den Kampfgeist besiegen? Also…mir…ich…ähm…ich weiß gerade nicht was ich da kluges zu schreiben soll. Das ist tatsächlich eine Möglichkeit, die ich nicht mal annähernd in Betracht ziehe. Ich denke, dass die Verantwortlichen so weise sind diese Entscheidung erstmal vom Ausgang der Saison abhängig zu machen. Alles andere wär Quatsch…aber das hat unsere Führungsriege ja noch nie von irgendwas abgehalten…oh. mein. GOTT!

  • In Zeiten wie diesen muss man mit allem rechnen. Schon gar nicht mit Weisheit.
    “Dem Gegner die Hoffnung nehmen und dadurch den Kampfgeist besiegen?” – jetzt, wo Sie es sagen, vielleicht hätten wir vor Sonntag schon mal drüber sprechen sollen? 😉

  • Da bin ich ja froh, dass Sie Ihre Vision nicht letzte Woche hatten 🙂

    Obwohl wir dann zu einem doch recht philosophischem Problem kommen:
    Wäre bei einer Niederlage das Gedachte immer noch eine Option oder handelt es sich per se um eine self fulfilling prophecy?

  • Wenn man das Szenario weiterspänne (-spönne?), würde eine Niederlage und der sicherlich daraus resultierende Unmut theoretisch die Sachlage in einem neuen Licht erscheinen lassen. Glaube ich. So kollisionsfrei kommt man an so was ja sicher nicht vorbei.
    Kommt ja auch drauf an, wann man so etwas denn dann vorhätte zu verkünden, wenn dem so wäre.
    Wenn man sowas trotz der bestehenden Stimmungslage durchziehen wollte, müsste man das wohl sehr bald tun. Ist ja alles Philophie hier.

  • @seite12: Obwohl man dann auch fragen sollt was das ZDF so als “Paß” wertet: 3/4 seiner Ballberührungen waren mit Sicherheit nicht kontrolliert. Aber ich will mich gar nicht auf einzelne Spieler einschießen. Das Kollektiv hat in der zweiten Halbzeit umfassend versagt. Pezzoni war da nur einer von elf.

    @Jekylla: Sie haben das ja in Ihrem HSV-Preview auf den Punkt gebracht. Das Zitat gilt wohl auch für diese Situation. Obwohl manche Taten gar nicht nötig sind 🙂

Haut rein, schreibt mir was!