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Wenn Arroganz in Ignoranz mündet


[Update. Freitag, 10.10.2008]
Stefan Niggemeier hat sich in den Kommentaren zu Wort gemeldet, was ich erstmal (völlig wertfrei) sehr begrüße:
  • Sein Artikel aus www.fernsehlexikon.de ist weder in der FAZ noch in der FAS veröffentlicht worden. Der dort veröffentlichte Artikel ist zwar ebenfalls über Dexter, jedoch nicht identisch mit dem von mir zitierten Artikel.
  • Der Artikel aus www.fernsehlexikon.de wurde nach der Ansicht der Serie im Orginal verfasst. Es handelt sich also nicht (wie von mir fälschlicherweise angenommen) um eine Besprechung nach Synchronisation oder Schnitt.
  • Der Absatz in dem ich Herrn Niggemeier unterstelle “etwas durcheinander” zu sein, ist so nicht mehr standhaft. Ich hatte die erste Folge tatsächlich nur mit dem ersten (Kinderschänder) Mord in Verbindung gebracht. Nachdem ein Episodeguide zur Hilfe genommen wurde, muß ich konstatieren daß der zweite (Snuff-Film) Mord auch in der ersten Folge vorkam. Ich weiß nicht mehr ob der Pilot eine Doppelfolge war, ist aber auch egal. Da hatte ich unrecht und habe zu schnell zu viel geschrieben. Dafür entschuldige ich mich.

Die entsprechenden Passagen sind im Text gestrichen, bei dem Rest bleibe ich aber auch.


Man muß Stefan Niggemeier nicht mögen. Ohne Zweifel ist er polemisch und meinungsdiktatorisch. Seine Kritik ist ein Fundament, das keinen Widerspruch duldet.
Ich hatte ihn jedoch bis heute auch in meiner Linkliste/Blogroll, weil auf seinen Seiten halt relativ viele Insider-Informationen abgerufen werden können und sei es nur durch die unzähligen Leser und Kommentatoren.

Durch einen Artikel bei Surfguard bin ich auf seinen Dexter-Veriss im “Fernsehlexikon” aufmerksam gworden, der wohl auch in der FAS abgedruckt wurde (QED). Dieser ist voller inhaltlicher Fehler, Interpretationen die von einem Kleinkind stammen könnten und einer stilistischen Schlichtheit daß ich die Serie hier einfach verteidigen muß. Ich erspare mir die Kommentar-Funktion im Fernsehlexikon zu nutzen, weil man dort mit einem Menschenschlag vorlieb nehmen muß, welcher mit Gutmensch und Moralapostel noch sehr sehr wild und krawallig beschrieben ist. Ich sag nur Anke.

Kommen wir aber mal zum Wesentlichen: Wir vereißen jetzt mal den Niggemeiererschen “Qualitätsjournalismus”! Alle mitmachen…

Dexter ist eine US-amerikanische Drama-Serie, die mittlerweile in der dritten Staffel auf “Showtime“(SHO), einem Pay-TV Sender, läuft. Die Serie erzielte für SHO Zuschauer- und Absatzrekorde. Die Zweitverwertung findet bei CBS in einer geschnittenen Fassung statt. In Deutschland lief die erste Staffel auf “Premiere Serie” und nun auf “RTL 2”.

Dexter (gespielt vom überragenden Michael C. Hall) ist ein Forensiker im Miami Police Department. Er ist dort zuständig für die Analyse von Blutspritzern. Gleichzeitig bringt er Menschen um. Soviel weiß man nach den ersten fünf Minuten der ersten Folge der ersten Staffel. Alles weitere muß man ergründen und der Serie folgen.
Dann fangen wir mal an: (Text von Niggemeier immer in rot)

Im ersten Absatz erklärt der “Journalist des Jahres 2007” seiner geneigten Leserschaft wer oder was Dexter denn ist:
Dexter Morgan (Michael C. Hall) ist ein Serienkiller, der Serienkiller umbringt.
Aha. Dexter bringt also andere Serienkiller um. Das ist schonmal falsch. Zwar haben die “Opfer” alle Blut an den Händen aber es gibt Menschenhändler, freigesprochene Mörder, Zuhälter, Kinderschänder, die Bandbreite ist da groß. Hört sich aber natürlich besser an, wenn man es etwas banaler ausdrückt, nicht wahr?
Tagsüber arbeitet er in Miami bei der Polizei und entwickelt aus Blutspritzern am Tatort ganze Täterprofile. Quatsch! Nachts lockt er die Bösen in einen Hinterhalt, entnimmt ihnen eine Blutprobe für seine Sammlung und testet die komplette Black&Decker-Produktfamilie an ihren Körperteilen. Wenn jemand nicht mehr testen muß, dann Dexter. Und diese spritzige eloquente Ausdrucksweise. Ja, das muß ein schlauer Mensch sein. Er ist besessen von Blut, empfindet keine Gefühle, ist aber ein Meister darin, sie vorzutäuschen. Töten muss er, weil er als kleines Kind ein traumatisches Erlebnis hatte. Ebenfalls kompletter Bullshit, denn Dexter empfindet sowohl für seine Schwester als auch für ausgewählte Kollegen zumindest Sympathie. Was er aber ganz und gar nicht ist, ist ein Meister des Vortäuschens, denn er erscheint wie ein dröger Fisch, zeigt sehr selten Emotionen und wird allgemein als unfassbar langweiliger Mensch gesehen. Da ist nix mit vortäuschen.

Damit hat er also seinen Lesern schon mal gezeigt wo der Frosch die Locken hat. Herr Niggemeier mag also Dexter nicht, dann kann das auch qualitativ nix sein, denn:
In den USA ist gerade die dritte Staffel von Dexter angelaufen, RTL 2 zeigt von heute an immer montags (am „unmoralischen Montag“) die ersten zwölf Folgen der Krimiserie, die provozierend gemeint und außerordentlich ärgerlich ist. Ach, was ist nicht alles provozierend gemeint? Weeds? Breaking Bad? 24? Das Schweigen der Lämmer? Desperate Housewives? Sex and the City? Wir bewegen uns da schon auf sehr dünnem Eis, denn in den USA gilt vor allem Anderen: Es muß sich verkaufen! Um zu verkaufen muß es die Menschen unterhalten. Die Provokation ist da nur ein Mittel zum Zweck und nicht die Intention der Macher.

Jetzt geht es also ans Eingemachte:
Das Problem von Dexter besteht nicht darin, einen sympathischen Serienmörder zu zeigen. Im Gegenteil, das hätte ich gerne gesehen: Eine Serie über einen freundlichen, witzigen, charmanten und intelligenten Menschen, der nebenbei, aus Boshaftigkeit, Gier oder Machtwillen, jedenfalls ohne Moral, Leute umbringt. Eine Serie, die mich als Zuschauer verwirrt, weil ich mich fragen muss, wie jemand, der so sympathisch ist, so böse sein kann, und jemand, der so böse ist, so sympathisch. Das wäre interessantes Dilemma gewesen.

Das Problem von Dexter besteht darin, einen nützlichen Serienmörder zu zeigen. Dass Dexter der Gesellschaft einen Gefallen tut, indem er die schlimmsten Verbrecher beseitigt, die sonst womöglich entkommen würden, steht für die Serie außer Frage. Dexter ist ein guter Serienmörder. Er ist so anständig gewesen, trotz seines psychischen Defekts zu versprechen, nur die Leute hinzumetzeln, die es „verdient“ haben. Beunruhigend und abstoßend ist für die Zuschauer nur, mit welchem Genuss, welchem kalten Sadismus er seine Morde zelebriert. Aber dass er die Welt von diesen Monstern befreit, ist an sich vergleichsweise unproblematisch. Die Welt wäre eine bessere Welt, sagt die Serie, wenn es mehr solche Serienmörder gäbe.

Aha. Was der erste Absatz über die persönliche Chrakterstärke des Schreibers sagt überlasse ich jedem selber. Den zweiten Absatz kann (bis auf den letzten Satz) man so sehen auch wenn die Anführungszeichen bei “verdient” nur als Stilmittel genutzt werden um seine Verachtung auszudrücken. Aber, aber, aber Herr Niggemeier: Die Serie sagt überhaupt nichts über eine bessere Welt mit oder ohne Dexter. Sie ist komplett unmoralisch. Das schließt aber auch eine “böse Moral” ein. Es ist von Anfang an klar daß Dexter ein Monster ist. Er wird zwar anders dargestellt als T-Bag in Prison Break aber sie spielen in der gleichen Liga. Daß hier schon eine Interpretation vorgenommen wird ist nicht nur fahrlässig sondern einfach journalistisch schlecht.

Das ist aber für mich kein interessantes Dilemma, sondern eine abstoßende politische Botschaft. Sie erklärt nicht nur – wieder einmal – den Rechtsstaat für lästigen Ballast, der Gerechtigkeit verhindert statt ermöglicht. Sie geht auch, ohne großes Tamtam, davon aus, dass es Menschen gibt, die den Tod verdient haben, Menschen, die nicht als Menschen zu behandeln sind.
Hier wird es dann ärgerlich, wenn der Schreiber seine überlegene Intelligenz ins Spiel bringt und eine “Botschaft” transportiert sieht, die nur einem Deutschen einfallen kann. In jedem Tatort kommt es zu mehr moralischen Zwischenbotschaften. Bei Dexter ist die Tötung ein Zwang, ein Reflex ein “psyschicher Defekt”. Daß man hier ein Plädoyer für Selbstjustiz reininterpretiert ist viel zu ambitioniert. Vielleicht muß ja der Titel verteidigt werden?

Nun kann eine Serie, trotz einer solchen Ideologie, künstlerisch faszinieren – und im besten (und schlechtesten) Fall einen Sog entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann, so sehr man sich dagegen sträubt. Die Macher von Dexter waren aber offensichtlich so besoffen davon, wie mutig und spektakulär ihre Grundkonstellation vom Serienkiller als Held ist, dass sie sich keine Mühe mehr gaben, gute Geschichten zu entwickeln, gute Dialoge zu schreiben, vielschichtige Charaktere zu zeigen. Dexter ist von einer erschütternden Schlichtheit, die von Blut und abgetrennten Körperteilen notdürftig überdeckt wird. Alles, auch das Offensichtlichste, wird erklärt und von Dexter in endlosen Monologen ausgesprochen. Es gibt kein Geheimnis.
Daß die Geschichte schlicht ist, ist eine Meinung die der Schreiber exklusiv hat. Ich verweise einfach mal auf imdb: 9,1. Vielleicht ist aber das Publikum einfach nur nicht so schlau wie Herr Niggemeier? Daß er Dexter eine “erschütternde Schlichtheit” zuspricht zeigt nur daß er die Serie entweder gar nicht gesehen hat oder aber nach zwei Minuten mit dem Strohhalm in die Nase abgerutscht sein muß. Die Charakter sind alle sehr sorgsam skizziert, angefangen mit Dexter der (natürlich) völlig zerissen ist, paranoid und trotzdem auch als Vorbild dient, über die Schwester (rebellisch, liebevoll, ehrgeizig) bis hin zu den Kollegen, die alle einen sehr menschlichen “Touch” haben und alle fehlerbehaftet sind. Die Monologe sind ein wichtiger Teil des Dexterschen Verständniss: Er weiht uns in seine Pläne ein aber auch in seine Sorgen, seine Gefühle(!) und seine Ängste. Es gibt ganz bewußt keine Geheimnisse. Der Zuschauer ist mit Dexter immer auf Augenhöhe. Man kann damit die ganze Dramatik um die Person nachvollziehen. Wenn Dexter auch noch Geheimnisse hätte würde die Show nicht funktionieren.

In der ersten Folge ist Dexter einem Mann auf der Spur, der verdächtigt wird, eine Frau umgebracht zu haben. Und weil wir sonst das womöglich nicht schlimm genug finden könnten (und als Anspielung auf einer spätere, sehr unüberraschende Erklärung dafür, warum Dexter selbst so emotional beschädigt ist) blättert er in einer Mappe mit den Fotos von den Kindern der Frau und erzählt uns, dass diese Halbweisen nun für ihr Leben lang emotional beschädigt seien.
Okay. Jetzt bin ich mir sicher, daß Niggemeier etwas durcheinander ist. In der ersten Folge wird ein Mann umgebracht, der zuvor drei junge Buben mißbrauchte und umbrachte. Entweder ist RTL 2 so bescheuert daß man die Folgen nicht in Reihenfolge bringt oder aber hier wird bewußt mit falschen Informationen gearbeitet. Das wär natürlich für den Qualitätsjournalismus ein Fall Stefan Schumacher. Daß aber hier eine (offensichtliche) Bewertung der Serie nach “Eindeutschung” stattfindet ist natürlich sowieso ein Nackenschlag. Ich kann von der FAZ/FAS, erwarten daß man das Kulturressort soweit mit Mitteln versorgt, daß man sich die DVD der ersten Staffeln über den Teich schicken läßt bevor man einen Text abdruckt der so offensichtlich angreifbar ist.

Dexter ist doppelt ärgerlich: moralisch und künstlerisch, als Botschaft und als Krimi.
Dexter ist kein Krimi! Er hat es nicht begriffen…

Soweit also der Veriss.

Ich weiß das es schlimmere Probleme auf der Welt gibt aber Dexter ist einfach das beste Stück Fernsehen daß ich kenne. Ich fühlte mich genötigt meine kleine Welt zu verteidigen!

Haut rein, schreibt mir was!