Die Wikipedia schreibt:
Die Krise (Alt- und gelehrtes Griechisch κρίσις krísis ursprünglich ‚Meinung‘, ‚Beurteilung‘, ‚Entscheidung‘, später mehr im Sinne von ‚Zuspitzung‘) bezeichnet eine problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation.
Das beschreibt meinen aktuellen Gemütszustand schon ganz gut. Ich befinde mich ca. 450 Meter vor der Ausfahrt und muss langsam überlegen ob ich den Blinker setze oder den bequemen aber nervenden Weg über die Mainstream-Autobahn weiterfahre. Der Fußball, ich glaube darüber gibt es keine Diskussion (und ich kenne auch niemanden mit einer anderen Meinung), ist komplett am Arsch. Eigentlich ist es schon lange nicht mehr auszuhalten und der Prozess, der aktuell seinen vorläufigen Höhepunkt findet, fing spätestens 2006 mit der Heim-WM an. Das Spiel wurde zum Event, die Mitte der Gesellschaft, die früher mit Verachtung auf den gemeinen Fußballfan geschaut hat, vereinnahmt das, was uns so am Herzen liegt und wandelt es zu dem um, was es heute ist. Eine durchchoreographierte Kackophonie aus Belanglosigkeiten und Oliver-Pocher-Fernsehen. Das ist im günstigsten Fall nervig, im schlechtesten Fall aber so abstoßend, dass man sich abwendet und einen Schlussstrich ziehen muss.
Ich bin an diesem Punkt noch nicht angekommen. Zu viel liegt mir am 1.FC Köln, zu sehr sehne ich mich nach einem magischen Jahr, einer magischen Nacht. Vielleicht könnte ich danach sagen: Gut, das war’s, das Spiel ist nicht mehr meins, ich gehe und lasse es den jungen Leuten. Vielleicht. Aber erstens sind diese Notti Magiche noch nicht mal in greifbarere Nähe und zweitens steht hinter all diesen Überlegungen am Ende noch dieses riesengroße “vielleicht”. Ich weiß es einfach nicht, dafür war der Fußball ein viel zu großer Teil meines bisherigen Lebens.
Aber es kratzt schon sehr an der Seele zu sehen wie alles den Bach runter geht, wie weit wir entfernt sind von der grauen Unschuld der 80er Jahre. Gestern lief die Champions League und natürlich läuft die auch bei mir im Hintergrund mit. Da spielt dann Real Madrid gegen Wolfsburg und Manchester City gegen PSG. Die “Königlichen” mit ihren Milliarden-Schulden, die keine Bank, keinen Gläubiger interessieren gegen eine 100%ige Tochter des VW Konzerns. Großartig. Im anderen Spiel ein englischer Traditionsverein, der früher seine Auswärtsfan in der Wykeham Street mit Backsteinen empfing (auch wenn das sicher nicht das Idealbild eines fußballromantischen Auswärtsspiels darstellt) und jetzt von Khaldoon Khalifa Al Mubarak geführt wird, einem Unternehmer aus Abu Dhabi. Der war sicher schon als junger Prinz ein glühender Verehrer der Mannen um Peter Reid war, damals als City in die dritte Liga abgestiegen ist. Bei Paris das gleiche Bild: Der Präsident heißt Nasser Al-Khelaïfi und kommt aus Katar und sorgt mit seiner Qatar Sports Investments-Firma für gute Laune rund um den Prinzenpark.
Wer will denn sowas noch sehen? Regelmäßig? Wer interessiert sich für diesen albernen Scheissdreck denn? Fußballfans aus der ganzen Welt möchte der empfindliche Schöngeist jetzt schreien. Halb Asien leckt sich die Finger nach Christiano Ronaldo, wenn gerade keine Hühnerfüße zum knabbern das Unternehmen unmöglich machen würden. Jaja, verstehe ich schon. Ich kann es nur nicht (mehr) nachvollziehen. Wo liegt der Reiz einer Champions League, wenn es durch Turnierstruktur und Lostöpfe, durch Markt- und Finanzkraft eh schon klar ist, welche Teams für den Sieg in Frage kommen, und wer nur schmückendes Beiwerk ist. Da ist ja der Alpen-Cup interessanter.
Und im kleinen ist es doch in der Bundesliga auch schon. Ich will jetzt gar nicht mehr das Fass mit Bayern und dem ewigen Vorstandsvorsitzenden aufmachen. Weiß ja eher jeder, der mit halbwegs gesundem Menschenverstand und offenen Augen gesegnet ist, wie und warum die Bayern ihren Konkurrenten nur noch den Arsch zeigen. Aber jetzt kommt die DFL um die Ecke mit den neuen Ausschreibungen für die Bundesliga und mir stellen sich zwei Fragen:
– Mit welchen Argumenten erwartet die DFL einen höheren Ertrag als bisher?
– Mit welchen Argumenten will SKY (oder wer auch immer) das bezahlen?
Ich hoffe der Markt regelt das. Lieber heute als morgen. Aber so bizarr schlechter das Produkt Bundesliga von Jahr zu Jahr wird, so klein sind meine Hoffnungen dass es Lösungen geben wird. Jedenfalls auf die Schnelle. Langfristig wird es sicher so sein dass wir uns immer mehr der EPL angleichen werden, 50+1 wird fallen und dann können wir alle mal schauen ob wir noch Interesse an einer Liga haben, die Spannung nur noch scriptet. Ich bin da sehr skeptisch. Und da ist noch kein Wort über die Teams dabei, sie selbst in Singapur oder Hong Kong keinen toten Chinesen interessieren. Das kommt ja noch dazu.
Dafür dann Montagsspiele. Zum Taco-Bell-Monday ist es nicht mehr weit.
Da hinten kommt die Abfahrt. Landesliga steht drauf, mit optionaler Route Richtung Südstadion. Leider sind die Straßen dorthin schlecht ausgebaut und ich weiß wirklich nicht ob mein Herz mir erlaubt jetzt schon abzufahren. Wahrscheinlich nicht. Geradeaus geht es weiter. Zwar im Schneckentempo und mit nerviger Musik aber immerhin steht Baku auf dem Schild. Ganz unten.
Als Fan eines Kunstproduktes wie dem 1. FC Köln, dessen Wurzeln einzig in der Erfolgslosigkeit von echten Fussballvereinen und derem verzweifelten Zusammenschluss liegen, sollte man vielleicht mit offeneren Augen durch die Welt gehen. Denn schon damals vor zig Jahrzehnten war der Fussball “am Arsch”, als zu solchen Maßnahmen wie Fusionen gegriffen wurde, um dem Erfolg am sportlichen Wettkampf vorbei auf die Sprünge zu helfen. Heute mit dem Finger auf andere zu zeigen, die mit ebenfalls obskuren Mitteln Abkürzungen zum Erfolg nehmen, darf sich kein Fan eines höherklassigen Vereines erlauben. Nur weil es die CL Clubs auf die Spitze treiben, sind es eben doch die gleichen Antriebe und Mechanismen wie bei allen Clubs, die in der Nahrungskette der zehntausenden Vereine irgendwann oben gelandet sind. Der Wunsch nach Europapokal beim Effzeh zeigt zudem, dass es keine Systemkritik an sich ist, die man kundtun möchte, sondern nur verschriftlichter Neid und Missgunst.
Worte, die mich nach deiner Aussage im Doppelfass, dass du ja selbst zu Augsburg-Wolfsburg am Sonntag rüberzappst weil “es is ja trotzdem Fußball!”, etwas überraschen. Aber sicher nachvollziehbar. Das Ganze Eventbrimborium nervt mich ja auch, obwohl ich eine Generation jünger bin und “das Original” so nicht miterlebt habe.
Und ansonsten bin ich jetzt mal wieder der Citizen, aber ich meine es durchaus ernst: Manchester City ist der beste Beweis dafür, dass trotz allem noch immer gute Geschichten möglich sind. City ist nämlich trotz all der Millionen im Herzen immer noch derselbe ewig-grantige Zweitligaklub. Und das sieht eins am Besten daran, dass die trotz all des Geldes noch immer nix europäisch gebacken kriegen.
1.) “– Mit welchen Argumenten erwartet die DFL einen höheren Ertrag als bisher? Mit welchen Argumenten will SKY (oder wer auch immer) das bezahlen?”
SKY hatte 2012, zum Zeitpunkt der letzten Ausschreibung, 3,1 Mio Abonnenten. Jetzt sind es 4,5 Mio Abonnenten. Die bei meedia.de zusammengezählten Einschaltquoten von SKY zeigen ähnliche Steigerungen. Zusätzlich ist der Umsatz pro Kunde ist von 32,16€ auf 35€ gestiegen.
2.) “Bei Paris das gleiche Bild: Der Präsident heißt Nasser Al-Khelaïfi und kommt aus Katar und sorgt mit seiner Qatar Sports Investments-Firma für gute Laune rund um den Prinzenpark.”
Der PSG ist problematisch, aber der ironisch gemeinte Halbsatz, der Scheich “sorgt […] für gute Laune rund um den Prinzenpark”, stösst mir bitter auf. Vor Einstieg der Kataris und den von den Kataris betriebenen Änderungen im Stadion und Umfeld, haben sich mit schöner Regelmäßigkeit die Ultras gegenseitig zu Brei gekloppt – auch PSG-intern. Todesfälle waren keine Seltenheit. Das haben die Kataris durch Beschneidung der Ultras gestoppt. Ich war vor 2-3 Jahren bei einem Spiel gegen einen Abstiegskandidaten im Stadion und die Stimmung gut. Abgesehen vom Quatsch mit Einlaufmusik u.ä., gab es gute Wechselgesänge zwischen den beiden PSG-Ultra-Tribünen und du hast dich sicher gefühlt. Stimmung war unterm Strich besser als bei manchem Bundesligaspiel des HSV. Du nennst es “gute Laune”, ich sage: “Hey, keine Toten mehr”.
Für eine Diskussion bringt es nichts, alle Punkte die einem bei Drei einfallen, in einen großen Topf zu schmeißen und dann den Brei zu servieren. Am Ende kommt der Eindruck auf, das man sich allem Neuen verschliesst.
Tatsächlich bin ich bei dir, dass der Fußball in ein Problem läuft und den Spagat zwischen den “Wirtschaftsunternehmen” und den “Fußballklubs” nicht mehr lange aushalten wird (und da steht der PSG als Blaupause für – aber nicht wg “gute Laune”). Dieser Spagat hat aber nichts mit fünf Montagsspielen der Bundesliga oder anderen Punkten der neuen Bundesliga-Ausschreibung zu tun. Sondern mit dem was einige Vereine und Verbände aus den bereits bestehenden und den zukünftigen Rahmenbedingungen machen werden.
Der interessanteste Part: »Langfristig wird es sicher so sein dass wir uns immer mehr der EPL angleichen werden, […] und dann können wir alle mal schauen ob wir noch Interesse an einer Liga haben, die Spannung nur noch scriptet.« Interessant vor allem, weil die Spannung in der Premier League zumindest bis vor kurzem doch mehr her gibt als die der Bundesliga. Das zeigt nicht nur die Tabellenführung von Leicester City, sondern auch andere Fakten – wie der, dass bis auf Tottenham jedes Team in dieser Saison bereits mit einmal mit einer 0:3/1:4/2:5-Abfuhr oder höher nach Hause geschickt wurde. Bei englischen Spitzenklubs ist Konstanz ein Fremdwort, selbst die in Europa (überraschend) starken ManCity und Liverpool kriseln national derbe. Und hier setze ich ein und sage: Viel TV-Geld ist auch eine große Chance für Spannungsnörgler und Traditionalisten. Denn es ist ein erheblicher Unterschied, ob die Spanne für Ablösen bei einer neunstelligen Summe (Bayern) im Vergleich zu maximal €2m (Darmstadt) liegen oder ob sie zwischen €200m und €30m tangiert. Die besten Spieler in dieser Saison – nehme man die kürzlich erschiedene POTY-Auszeichnung – sind, Özil ausgenommen, nicht die teuersten Spieler gewesen. N’Golo Kanté bspw. für kleines Geld zu einem damaligen Abstiegskandidaten, die €9m hätte sich aber kaum ein Bundesligist aus der zweiten Tabellenhälfte ohne Verkauf von Stammspielern leisten können. Das TV-Geld vermag es folglich, ein Stück weit Spannung zurückzubringen. Soweit mein kritischer Punkt.
Mich frustriert, und das sprichst du ja auch an, dass der Fußball kein zumindest in weiten Teilen kein finanziell autarker Zirkel mehr ist. Früher gab es kleine Sponsorengelder, Marketing, Trikotverkäufe und Ticketeinnahmen auf der Einnahmenseite. Der Wert des Geldes war irgendwie einschätzbar. Mir fehlt heute die Kalkulation: Was sind €100m noch wert umgerechnet in Spielerleistung? Wenn ich einen Spieler für €100m abgebe und das Geld nicht voll ausgebe, was wird diese Summe im Fußball in ein paar Jahren noch wert sein? Nicht finanzierbar gibt es bald für einige Klubs nicht mehr. Grund genug für Klubs wie Borussia Dortmund und andere, Spieler schlicht als unverkäuflich zu erklären. Und das liegt nicht am TV-Geld, sondern an extern zugeführten Geldmassen. Stürzt jemand PSG in Frankreich von der Spitze, holt Al-Khelaifi seine Portokasse aus dem Tresor und führt den Klub spielend leicht wieder an die Spitze. No limits. Wie ich bereits sagte: Asien-Marketing/Ticketing & Co. sind imho legitim, zumal diese Märkte irgendwann erschöpft sind und dies von allen Klubs in gleichem Maße praktiziert werden zu können. Das Geld der Scheichs hat kein Ende – und deshalb frustriert mich vor allem diese Ungleichheit zwischen Klubs.
@ Kai Pahl (@dogfood) “Dieser Spagat hat aber nichts mit fünf Montagsspielen der Bundesliga oder anderen Punkten der neuen Bundesliga-Ausschreibung zu tun.”
Ne, dass is nur der nächste Tropfen auf dem Weg zum überlaufenden Fass. Und ich denke genau so meint Axel es. Und ich kann nur sagen, dass er mir ob der Entwicklung im Fussball, welche leider stetig in die komplett falsche Richtung läuft, aber sowas von aus dem Herzen spricht!
Dass zu einer WM / EM im eigenen Land oder nach internationalen Titeln eine Sportart einen Hype erlebt ist auch normal. war beim Tennis zur Zeit von Boris und Steffi auch so. Oder es reden auf einmal alle über Handball. Oder vor zig Jahren mal über Eiskunstlauf. Oder Formel 1… Wann war Fussball noch Prolentsport? Ich denke dass ist schon was länger her als 2006.Solange die Kirmesmusik bei der Nationalmannschaft oder Plasikclubs läuft habe ich kein Problem damit. War früher auch schon so. Ist mir sogar lieber als Mexico-singende Hools. Kann ich mir beim FC eh nicht vorstellen. Auch in hundert Jahren nicht.
Montagsspiele. Was ist genau hieran so schlimm? Also mal abgesehen für die Stadiongänger mit weiter Anreise. Welche für zwei Vereine pro Spieltag wirklich nur einen wahrscheinlich kaum zu messenden Bruchteil aller Fans/Zuschauer/Konsumenten ausmacht. Ausserhalb des Stadions bekommt man auch nichts mit von “pro 15:30” was seit etwa 20 Jahren in der Kurve verlautet wird. Selbst als Fussballintressierter nicht. Und gebracht hats eh nix.Ingolstadt gegen Wolfburg gucke ich Samnstags, Sonntags und auch Montags nicht. Pauli gegen Kaiserlautern schon.
Was aber tun?
Die Stange halten und hoffen, es wird wieder so wie früher? Vielleicht, aber war früher alles besser?
Du befindest dich gefühlt da, wo ich mich auch mal befunden habe.
Jetzt schaue ich Kreisklasse und manchmal den Effzeh, das ist alles spaßig und toll, aber es fühlt sich doch anders an.