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Arsenal – FC: Champagne Supernova

How many special people change?
How many lives are living strange?
Where were you while we were getting high?

Wo will ich anfangen? Ich bin unstrukturiert und aufgewühlt, ich kann noch gar keinen klaren Gedanken fassen, so überlebensgroß war das gestern. So jenseits von allem, was ich bisher im Fußball erleben durfte. Ich habe Aufstiege gefeiert, ich war mit einem einzigen 30er Bus bei einem Hallenturnier in Leipzig, habe Spiele vor 3.000 und Spiele vor 80.000 Zuschauern gesehen. Ich war beim Spiel um Platz 3 bei Olympia ’92, ich bin mit dem 1.FC Köln viele tausend Kilometer durch Deutschland gereist und mein letztes Europapokalspiel im Stadion war das Heimspiel gegen Atalanta. Ich bin 23 41 Jahre alt und gehe seit 27 Jahre regelmäßig zum Fußball. Nichts, keine einzige Erinnerung, kommt auch nur nah dran an das, was ich gestern in Islington erleben durfte. Beim Einlaufen der Mannschaften hatte ich Tränen in den Augen. Das ist jetzt nicht nur so dahin geschrieben, nein, ich musste mich von den um mich herumstehenden Damen sogar ein wenig belächeln lassen. Ich war so derart aufgewühlt, die Energie, die in diesem magischen Moment von den Rängen kam, war überwältigend. Ein “Come on effzeh” Wechselgesang zwischen den Clock End Blöcken H-J und K-N raubte mir fast alle Sinne. Es war so laut, so intensiv, so… einzigartig. Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen, fast ungläubig ob der puren Wucht der Emotionen. Nach 25 Jahren läuft der 1.FC Köln im Emirates auf und ich bin dabei. Es war elektrisierend.

Slowly walking down the hall
Faster than a cannonball
Where were you while we were getting high?

Ich will jetzt keinen großen Reisebericht schreiben, wer sich für die vielen skurrilen Geschichten interessiert, die ich in den 32 Stunden des Trips erlebt habe, der möge am Montag drei90 einschalten, dort werde ich ausführlich erzählen. Von entnervten Zugbegleiterinnen, von englischer Provinzialität, von neuen Bekanntschaften und engen Zeitplänen, von Flugverspätungen und unverschämten Lufthansa-Mitarbeiterinnen. Es könnte etwas länger werden.

Nein, ich will nur erzählen wie ich London erlebt habe, will meine Eindrücke wiedergeben, denn auch wenn deutsche und englische Zeitungen übereinstimmend von einer Nacht der Schande sprechen, es war das genaue Gegenteil. Es war ein friedliches, lautes, intensives Fest, es war ein freundschaftliches Miteinander, es war ein wortwörtliches Anstoßen, verbunden mit einem “Cheers Mate”. Nacht der Schande. Am Arsch. Während des Oktoberfests müsste die Bild-Zeitung jeden Tag mit “Fest der Schande” aufmachen, denn es benehmen sich jeden Tag deutlich mehr Menschen in den Saufzelten daneben als gestern Abend in London. Hab ich noch nie gelesen. Ist halt Brauchtum, da kann das mal passieren, ne? Es gab gestern 5 Festnahmen. Bei geschätzten 20.000 Kölner. Fünf. Nacht der Schande.

Und dennoch möchte ich nicht relativieren: Die Leute, die da in die Polizei reingestürmt sind, die die Kioske überfallen haben und Gewalt ausübten sind Arschlöcher. Ich habe es selbst nicht gesehen, deshalb möchte ich da auch gar nichts weiter zu schreiben, sondern lasse einen Augenzeuge zu Wort kommen:

Ich kam mit Freunden um kurz nach 18.00 h Ortszeit am Stadion an. Wir sahen, dass die the Danny Fiszmann Bridge scheinbar abgeriegelt war mit den Leuten, die den Fanmarsch vollständig mitgegangen waren und beschlossen daher, uns direkt am Eingang zu Block L für den Gästeblock anzustellen, bevor die Schlangen lang werden. Vor uns standen höchstens 15-20 Leute an der linken Schlange bis zum Einlass. Es geschah hier jedoch über 10 Minuten nichts, keiner wurde reingelassen. Dann wurden anscheinend die Leute von der Brücke gelassen und alle strömten Richtung Blockeingang. Hier kam es dann wohl dazu, dass eine Handvoll Leute versuchte, über die Absperrung zu gelangen. Das konnten wir aber nicht genau sehen. Es passierte darauf hin Minuten lang wieder nichts, außer dass sich um uns herum eine Riesenmasse an Menschen angesammelt hatte, die aufgestellten Gitter wurden geschoben. Die Leute hielten immer wieder ihre Tickets hoch um deutlich zu machen, dass man eines hatte. Dann kam die berittene Polizei und drängte uns alle zusammen, so dass wir kaum auf zwei Beinen stehen konnten. Von vorne und der Seite hieß es immer „go back“, aber es ging nicht zurück oder zur Seite, weil hinter einem ja gefühlt hunderte Leute standen und auch Gitter, gegen die man gequetscht wurde. Wir versuchten, der Polizei deutlich zu machen, dass hinter uns und an der Seite Gitter standen, und wir uns nicht weiter bewegen konnten. Auch Leute aus der Fanszene versuchten per Megaphon, die Masse ein Stück nach hinten zu bewegen und zu beruhigen. Hier ging jedoch nichts, von hinten Menschen und Gitter, von der Seite die berittene Polizei. Dieser Zustand dauerte über eine Stunde an. Die Leute wurden immer unruhiger, es gab die ersten, die versuchten, aus diesem Pulk heraus an die Seite zu kommen, da sie keine Luft mehr bekamen, Panik hatten oder ihre Notdurft verrichten mussten.

Da ich es irgendwann auch nicht mehr aushielt und in Panik verfiel, versuchte ich ebenfalls an den linken Rand zu gelangen, die umstehende Leute halfen mir dabei. Dort angekommen konnte mir eine Ordnerin nur den Weg zu Toilette gegenüber vom Einlass zeigen, sonstige Hilfe gab es nicht, obwohl die Leute, die mir daraus halfen den Ordnern erklärten, dass ich ggf. Hilfe brauche. Nachdem ich mich dort übergeben hatte und andere Freunde kontaktiert hatte, fragten diese sowohl Ordner als auch Polizisten nach Sanitätern. Als Antwort kam, dass es um das Stadion weder Sanitäter noch „Ambulances“ gab, wir sollen doch zur First Aid Station im Stadion gehen. Tja, da kamen wir jedoch nicht rein.

Die vorbeschriebene Einlasssituation habe ich als sehr gefährlich empfunden und ich kann nicht nachvollziehen, wieso man Menschen über 1,5 Stunden so einquetscht. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass man außerhalb des Stadions keinerlei medizinische Versorgung zur Verfügung stellt.

Ich glaube, dass eine anders geregelte Einlasssituation das Ganze – auch im Hinblick auf die nun anstehende UEFA Untersuchung und die nicht nachvollziehbaren Berichte aus der Presse -wesentlich entschärft hätten. Im Übrigen habe ich am Stadion und im Vorhinein Niemanden getroffen, der kein Ticket hatte.

Natürlich rechtfertigt all dies keine Gewalt, bitte versteht das nicht falsch aber es wäre ein leichtes gewesen die Situation erst gar nicht entstehen zu lassen. Mit einer anderen Ticketpolitik, mit weniger Drama und weniger Angst vor Eventualitäten, mit weniger Eventdenken und weniger Arroganz wäre es zu keiner Eskalation, so klein sie am Ende auch gewesen sein mag, gekommen. Das ist einfach ein Versagen von Arsenal.

Dass dann am Ende die Kölner Fans mit Tickets für den Heimbereich sogar von dieser Situation profitiert haben, weil die Sicherheitsbehörden sich entschieden haben die Kontrollen Kontrollen sein zu lassen und einfach alle Menschen ins Stadion gelangen zu lassen, ist dann eine Bewertung über die ich mir noch Gedanken machen muss. Aber -und ich finde das darf man nicht vergessen- wir kommen nicht umhin uns zu wundern, was sich Arsenal und die Polizei von London gestern gedacht hat. Naja, es werden wohl ein paar mehr als die 3.000 kommen aber so wild wird es nicht werden? Waren sie wirklich so blind? Waren sie wirklich so arrogant? Ich weiß es nicht. Klar ist, dass das “Sicherheitskonzept”, wenn man es denn so nennen will ein Komplett-Desaster war. Die Stewards waren vollständig überfordert und zahlenmäßig so hoffnungslos unterlegen, dass sie ihre Autorität schon mit dem Überziehen der neongelben Warnwesten verloren haben. Die Polizei zeigte -zwar spät- ihre Präsenz (allerdings, das möchte ich betonen, mir und meinem Umfeld gegenüber freundlich, hilfsbereit und ohne jede Aggression. Kein Vergleich zu deutschen Ordnungshütern. Wenn man die höflich angesprochen hat, kam eine zuvorkommende und freundliche Antwort, gefolgt von einem aufrichtigen “have fun”. Ich habe gesehen wie Bobbys sich mit Kölner Fans haben fotografieren lassen und für das Foto die Mützen getauscht haben. (Frag mal hier einen Ninja Turtle ob er das macht…) aber alles in allem war die Situation von Anfang an hoffnungslos. Arsenal und London war schlicht nicht vorbereitet auf das was da gestern angereist kam.

Soviel mal dazu.

Someday you will find me
Caught beneath the landslide
In a champagne supernova in the sky

Vor dem Spiel gab es einen Fanmarsch auf der Oxford Street, bevor sich dann alles an den Highbury Fields und in den umliegenden Kneipen sammelte:

Ich traf mich mit den guten Leute im Brewhouse and Kitchen, das -natürlich- fest in kölscher Hand war. Ein paar Einheimische mischen sich unter die Auswärtsfans aber das war auch kein Problem.

Gegen 16 Uhr kam es zur Schocknachricht, dass kein Bier mehr ausgeschenkt werden dürfte. Ahso. Essen durfte auch nicht mehr bestellt werden, weil, sind wir mal ehrlich, was kann es schlimmeres geben als einen satten Fußballfan? Stimmt schon. Den Beweis traten dann ein paar Stunden später die Arsenal-Fans an. Egal, dann gehen wir mal ein paar Meter die Straße runter, vorbei an einer wunderschönen Schule, deren Kinder einen schwarzen Anzug mit irritierend hellpinken Applikationen trugen (ich mag Schuluniformen sehr aber die war hässlich) und fanden selbstverständlich noch einen Laden, der uns freundlich und zuvorkommend aufnahm. The Alwyne Castle. Etwas arg hip aber dann doch ganz nett mit sehr leckerem IPA (The Camden Town IHL) und noch leckererem Cider (Orchard Pig Reveller Cider), dazu Fish & Chips oder Burger oder Pulled Pork, ach das war schon nett. Draußen geb einen netten Biergarten, die Stimmung war auch hier friedlich bis ausgelassen, Arsenal Fans haben Fotos mit uns gemacht, alles gut.

Nach dem obligatorischen Regenschauer machten wir uns dann auf Richtung Stadion. Wir wanderten die Holloway Road entlang, tranken noch ein Wegbier, schlenderten vorbei an Arsenal Kneipen und Take Aways, bogen rechts ab auf die Hornsey Road und plötzlich, ganz nah, erhaschst Du einen ersten Blick. Da hinten, links an den Bäumen vorbei, durch den Rauch der Streetfood-Stände hindurch kannst du es sehen, bis die Strasse plötzlich und fast schlagartig einen kleinen Knick macht und du davor stehst: Emirates Stadium. Da spielt gleich der 1.FC Köln. Unfassbar.

Auch hier: Null Aggressionen (wenn man mal davon absieht dass die Idioten von Zwei Kölsch nur fünf Meter neben uns ihre Show abgezogen haben und heftig debattiert wurde ob man mit der Polizei sprechen könne, ob diese mal kurz wegschauen könnte. Der Plan wurde aber verworfen), sondern friedliche, ausgelassene Stimmung. Man hörte und sah fast nur kölsches Publikum, die paar Arsenalesen die vor Ort waren wollten eigentlich nur ihre Tickets verkaufen. Ich bin noch nie so oft angesprochen worden ob ich ein Ticket haben will. Noch nie. Naja, muss jeder selber wissen. Dem Schwarzmarkt nicht unbedingt zuträglich war die Tatsache dass die Tageskasse geöffnet hatte. Eine merkwürdige Sache eigentlich, hatte Arsenal doch erklärt, dass das Spiel lange ausverkauft sei. Auch hier gilt: Der AFC hat sich einiges selbst zuzuschreiben.

Im Stadion dann der Schock. Das Clock End war fest in Kölner Hand. Sowohl Ober- als auch Unterrang waren okkupiert. Das Lied vom Europapokal schallte durch das halbleere Stadion, die Pufferlinien an Ordnern, die man sonst gerne in englischen Stadien sieht war nicht mehr vorhanden. Es war -man muss es so sagen- eine friedliche Übernahme. Die unmittelbaren Momente vor dem Spiel waren dann -wie eingangs erwähnt- das allergrößte, was ich bisher erleben durfte.

Das Video kann es nur unzureichend übermitteln, weil das schon gegen Ende des Gesangs war. Es ist aus meiner Perspektive:

Ich habe jetzt noch Gänsehaut.

Über das Spiel will ich nicht viele Worte verlieren, denn wie es der eine oder andere schon mitbekommen hat, war ich Trottel beim Tor des effzeh auf Toilette. Da fällt mir dann auch nix mehr zu ein. Ein Mal im Europapokal, der effzeh geht in Arsenal in Führung und Axel ist schiffen. Jedes weitere Wort ist Zeitverschwendung, denn diesen Trottelfaktor gibt es eigentlich gar nicht. Ich sah die Wiederholung im Arsenal TV auf dem Weg zurück in den Block, mitleidige Blicke von den umstehenden Polizisten begleiteten mich dabei. Whatever.

Arsenal gewinnt das Spiel, weil wir die Tore wieder viel zu einfach hergeben aber an Analyse ist gepfiffen, das krieg ich eh im Moment nicht hin. Unschöne Begleiterscheinung: Syndesmosebandriss bei Jonas Hector. Das hat uns gerade noch gefehlt. Verdammt.

Ab der 80. Minute machte sich dann der geneigte Heimfan auf den Weg nach Hause, die FC-Fans blieben noch ein bisschen und als dann das Stadion ca. drei Minuten nach Spielende komplett leer war passiere das:

Ich sage Euch, das hat geschallt, das kann man sich gar nicht vorstellen. In der ersten Einstellung des Videos kann man ganz gut sehen wie viele wir waren. Zur Erklärung: Der Gästebereich ist nur der Block im Unterrang rechts neben der linken Eckfahne bis linker Torpfosten. Das ist schon gut.

Alles in allem kann ich mich nur wiederholen: Es war fantastisch, es war grandios und umwerfend. Ich werde lange von dieser Erinnerung zehren. Vielen Dank an alle die dabei waren, vielen Dank an die vielen netten Engländer, die ich kennen lernen durfte (die übrigens übereinstimmend nichts als lobende Worte für den FC und seine Fans fanden) und vielen Dank an den 1.FC Köln, dass er mir das noch einmal möglich gemacht hat.

Mir kommen schon wieder die Tränen.

Wake up the dawn and ask her why 
A dreamer dreams, she never dies 
Wipe that tear away now from your eye
Slowly walking down the hall 
Faster than a cannonball 
Where were you while we were getting high? 
Someday you will find me
Caught beneath the landslide 
In a champagne supernova in the sky 

2 comments to Arsenal – FC: Champagne Supernova

  • Rhinefeier

    Ein wunderbarer Text Axel!
    Da liegt viel Emotion und Erlebnis drin. Ich kann jedes Wort von dir nachvollziehen.
    Die Kölner haben ein tolles Europapdebüt, in Zeiten von Sky und Kommerz, gefeiert.
    Ich will mir jedes der FC Spiele im TV ansehen, weil ich bei euch auch diese Riesenfreude erkenne und pures Mitgefühl empfinde.

    Der Wettbewerb wird noch einige Geschichten für euch parat haben und ihr werdet noch sehr viel Spaß kriegen.
    Auch das erste Heimspiel ist so geil, weil du das Gefühl hast gerade live in die Welt übertragen zu werden.
    Ich wünsch dir und deinem
    Club viel Spaß, irgendwann kommt nämlich das Fernweh wieder zurück.

    Danke für deine Berichte und Geschichten.

    Beste Grüße aus MG
    Jan

  • spontti

    Jetzt hab ich auch wieder eine Pelle! 🙂
    Schöner Text über den Wohl schönsten Tag, den mir mein ähnlich langes Fanleben beschert hat!

Haut rein, schreibt mir was!