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Eine Reise

Meine ersten Erinnerungen an den 1.FC Köln, nein, an den Fußball als solchen, sind nicht visueller Natur. Meine Großeltern väterlicherseits hatten früher in Braunsfeld einen Garten, in einer Kleingarten-Anlage. So etwas gab es damals noch. Oma und Opa wohnten in Nippes, mitten auf der Niehler Straße in einem Mehrfamilienhaus, wie sie in den 60ern in dieser Stadt hochgezogen wurden und heute noch langsam vor sich hin rotten. Da gab es natürlich nicht den Raum für einen eigenen Garten im oder am Haus, sondern man behalf sich halt mit einem Mietgarten. Alle paar Wochen, im Sommer natürlich fast jedes Wochenende, luden mich meine Eltern also ins Auto (wir befinden uns Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre) um von Brühl ins nahe Köln zu fahren und den Tag im Garten der Großeltern zu verbringen. Nebenan der Garten gehörte der Schwester meines Vaters, auf der anderen Seite hatten Tante und Onkel Domizil bezogen. Die andere Schwester kam ebenfalls mit drei Kindern vorbei und so hatten wir fast die ganze Familie jedes Wochenende zusammen. Es gab Pflaumenkuchen, natürlich bestückt mit Pflaumen vom eigenen Baum und Kaffee für die Frauen, Limo für die Kinder und ein Bierchen für die Männer.

Im Hochsommer konnte ich aber etwas anderes entdecken. Alle zwei Wochen hörte man über die Anlage merkwürdige Geräusche. Durch die Bäume drang nicht alles aber ich war mir sicher, dass es seinen Ursprung nicht in den Gärten haben konnte. Es klang fast wie ein unwirkliches, weit entferntes Grollen. Kurze Phasen zwar nur aber klar zu erkennen. Ich musste wissen was das war. Wie mich meine Oma(!) aufklärte, hörte ich die Geräusche aus dem nahen Müngersdorfer Stadion, der Heimstätte des 1.FC Köln, dessen Existenz ich mir zwar bewußt war aber bisher freundlich ignoriert hatte, denn mit vier oder fünf Jahren hatte ich, ich gebe es zu, mit Fuppes noch nix am Hut. Aber es packte mich und schon bald konnte ich vor dem Radio-Kommentator das Tor in Müngersdorf vermelden, jedenfalls wenn es für den FC gefallen war. Ich war oft baff erstaunt, dass in Köln ein Tor gefallen sein sollte, von dessen Existenz ich nicht durch diesen wundersamen Roar Kenntnis hatte. Die Geheimnisse des Satdionbesuchs, mit Auswärts- und Heimfans waren mir noch verborgen.

Bis zu meinem ersten Stadionbesuch war es aber nicht mehr lange. Früh erkannte meine Familie, dass sie mit den samstäglichen Ausflügen einen schlimmen Fehler gemacht hat. Ihr Sohn war verloren. Samstags war auf einmal die Sportschau absolutes Pflichtprogramm, ich quengelte fürchterlich, wenn wir nicht früh genug zu Hause waren und war ein Ekel, wenn der FC verloren hat. Auch ein Sieg konnte mich nur kurz aufmuntern, denn ich habe es ja nur in ein paar Ausschnitten gesehen und nicht “live”. Ich wußte, dass ich bereit war ins Stadion zu gehen. Ich erklärte meiner -in London lebender- Tante (zu der wir später zurückkehren werden), dass ich ein FC Köln-Fan sei und nichts so toll ist, wie am Spieltag den Krach aus dem nahen Stadion zu hören und wie sehr ich es mir wünschte selbst dabei zu sein. Von ihr bekam ich mein erstes Trikot geschenkt. Sie war mit einem Engländer verheiratet und erkannte wohl schnell, dass da nichts mehr zu machen ist. Zusammen mit einem Wimpel von World Cup Willie (ebenfalls von ihr) waren dies meine ersten Fußball-Fan-Artikel.

Jetzt hatte ich also schon mal das  passende Rüstzeug, doch noch immer war ich nicht dabei gewesen. Ich quengelte meinen Vater immer wieder an doch mal mit mir ins Stadion zu gehen aber das war nicht so einfach. Mein Vater ist mit 18 Jahren nach Kanada ausgewandert. Er hat dort seinen Schifffahrtsingenieur gemacht und befuhr die Weltmeere. Er war nur drei Monate im Jahr zu Hause und die paar Wochenenden im Jahr, wo wir ihn besuchen konnten, in Rotterdam oder Antwerpen oder Hamburg, da war Müngersdorf weit weg. Irgendwann im Frühsommer 1983 jedoch, ich weiß es noch wie heute, stand er auf einmal in meinem Zimmer und sagte, ich solle doch mal mitkommen, er hätte da was gefunden und wüßte nicht ob das mir gehören würde. Im Wohnzimmer machte er den Schrank mit den guten Gläsern auf und zauberte zwei Karten für das Pokalfinale FC – Fortuna aus dem Hut. Ich bin komplett durchgedreht und bekam mich nicht mehr ein. Leider musste er vorher wieder seinen Dienst antreten, so dass mein Opa mit mir dorthin gegangen ist. Mein erstes Spiel im Stadion! Ich war auf 180, konnte nichts sehen, habe so gut wie keine Erinnerung mehr an das Spiel außer dass ich gejubelt und gejubelt und gejubelt und gejubelt habe, als feststand, dass der effzeh gewonnen hatte. Ich wußte nichts von einem Fußballgott. Ich war sieben Jahre alt.

1985. Ich war mittlerweile felsenfest davon überzeugt der größte FC-Fan unter der Sonne zu sein. Meine Mutter hatte es nicht leicht, denn nach der Schule gab es nichts was mich vom Fußball abbringen konnte. Die Schlachten, die ich schlug, nur um um meine Hausaufgaben herumzukommen, sind nicht zu zählen. Meine Oma (mütterlicherseits, ich wohnte in Brühl), die meistens nachgab, musste sich manchen Rüffel von meiner Mutter anhören. Wenn ich mir meine Interpunktion so ansehe, muss ich zugeben, dass meine Mutter ein faires Argument hat. Doch, zurück zum Thema: Ich spielte tagelang Fußball. Auf dem Ascheplatz in Brühl-West, der darunter liegenden Wiese, auf unserer “Hauswiese” in der Von-Heinsberg-Strasse und bei Viktoria Gruhlwerk in Heide. Immer weiter.

Wenn mein Vater in Deutschland war, kam er zu jedem meiner Spiele und oft genug ermahnte er mich nicht allzu aufbrausend zu sein, schließlich sei es nur Fußball. Hier besteht ein Kluft die nicht zu kitten war: Für ihn war Fußball nicht wirklich ein Sport, nur eine Unterhaltungsmaßnahme. Das hängt natürlich mit seiner Sozialisation in Kanada zusammen. Er war eher der Eishockeymensch, doch ab und an gab er nach und fuhr mit mir zu einem Spiel. Er war aber nie ein Fan, konnte nicht verstehen, was mich so besessen machte und hatte eigentlich auch generell kein allzu gutes Verhältnis zum FC. Obwohl in Köln, auf der Aachener Strasse geboren, schlug sein Herz immer mehr für den Underdog. So kam es, dass er mich mehr als einmal Sonntags einpackte und mit mir zur Fortuna fuhr, die damals zweitklassig waren.

Einmal, es muss  im April oder Mai ’86 gewesen sein, fahren wir auf der Brühler Strasse Richtung Südstadion als mein Vater von der Polizei angehalten wird. Ich weiß nicht mehr warum aber was ich noch ganz genau weiß, ist wie er versuchte die Polizisten mit einen Zehn-Mark-Schein und einem Augenzwinkern zu bestechen ihn weiterfahren zu lassen. Das war der größte Moment überhaupt. Der Zehner zusammen mit dem (alten) Führerschein durchs Fenster gereicht, dabei nonchalant die Sprache gewechselt und den Wachtmeister mit “Officer” angesprochen und ein fassungsloses Gesicht geerntet. Das Ende vom Lied: Wir verpassten das Spiel, weil die Polizei uns zwei Stunden auseinandernahm. Trotzdem: Eines der coolsten Fußballerlebnisse ever!

Am Ende der Saison 85/86 steht der FC im UEFA-Pokal-Finale gegen Real Madrid. Ich kann mich noch erinnern, weil ich um Neun Uhr ins Bett musste uns somit nur die erste Halbzeit sehen konnte. Eigentlich. An diesem Mittwoch aber, war meine Mutter nicht zu Hause und mein Vater hatte die letzte Woche, bevor er wieder auf See musste. So saßen wir zusammen vor dem TV (Ich meine das ZDF übertrug das Hinspiel. Kürten? Figgemeier? Klärt mich mal auf…) und ich musste meinem Vater versprechen, dass -wenn er mich das Spiel ganz sehen lässt- ich meiner Mutter nie ein Wort davon erzählen darf. Bis heute hielt ich mein Versprechen. Besonders gut erinnere ich mich an einen Einwurf für den FC, es muss ziemlich zu Beginn gewesen sein. Der Kölner Spieler (Prestin? Geils?) nimmt den Ball, titscht ihn einmal auf, geht dann drei, vier Schritte Richtung Mittellinie (aus der eigenen Hälfte) und wird vom Schiri zurück gepfiffen. Der Reporter bemerkt trocken dass “auch so Zeit von der Uhr tickt” und mein Vater lacht sich ‘nen Ast. Die zweite Szene ist das 0:1 durch Allofs. Ich drehe durch und gucke zu meinem Vater, der auf die Uhr zeigt und mich ermahnt mich nicht zu früh zu freuen. Am Ende steht es 5:1 für Real. Ich weiß nicht mal mehr ob ich das Rückspiel überhaupt geschaut habe, ich habe auf jeden Fall keine Erinnerung mehr daran.

1990 wird Deutschland Weltmeister in Rom und mein Vater hört mit der Schifffahrt auf. Wir sehen das Endspiel zusammen und trinken unser erstes gemeinsames Bier (natürlich auch unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen, ich war 14 und meine Mutter durfte nichts davon wissen).

In den nächsten Jahren ging ich dann alleine zum Fußball. Mit Freunden zuerst in die Südkurve, danach in den Oberrang. Natürlich erntete ich bittere Kommentare, wenn ich nach Hause kam, wieder mein ganzes Geld für den Fußball verbrannt habe und dann noch nicht mal für eine gute Mannschaft.

1993 fuhr ich mit meinem Vater das letzte Mal nach London um eine Woche bei der o.e. Tante zu urlauben. Wir zogen jeden Tag durch die City, gingen öfter als gesund war zu KFC (was es damals hier noch nicht gab), und letztlich hatte ich ihn soweit: In unmittelbarer Nähe lag “Loftus Road”, das Stadion der Queens Park Rangers, die just am Samstag vor unserer Abreise ein Heimspiel hatten. Ach so, ich muss noch sagen, dass ich mit “unmittelbare Nähe” wirklich “unmittelbare Nähe” meine, denn meine Tante wohnte in der “South Africa Road” und konnte von ihrem Küchenfenster die Rückseite des Stadion sehen. Auf der anderen Straßenseite! Wir also dahin, grottiges Spiel gesehen, ich glaube QPR gewann Eins oder Zwei zu Null. Das bemerkenswerte war, dass mein Vater mir einen Schal kaufte. “QPR – Milk Cup Final” stand darauf. Nicht zu vergleichen mit unseren heimischen Fanschals, der Stoff war viel dünner aber ich habe diesen Schal immer noch und hüte ihn sorgsam. Es war der letzte Stadionbesuch mit meinem Vater.

Ich war leider nie wieder mit ihm dort oder in Müngersdorf oder in Zollstock. Es ergab sich einfach nicht.

Als der FC vor ein paar Wochen gegen Bayer gewann und damit den Klassenerhalt so gut wie sicher machte, lag er bereits im Krankenhaus. Eine Stationsschwester war Bayer-Fan und als ich ihm erzählte, dass der FC gewonnen hat, rief er direkt nach der Schwester um ein meckerndes Lachen loszulassen. Er kniepte mir dabei zu.

Gestern Abend um 22:40 Uhr starb mein Vater am verfluchten Krebs. Ich habe ihm vieles zu verdanken, nicht zuletzt meinen ersten Stadionbesuch, die Initialzündung. Sein Humor und seine Weltsicht ist nicht zu ersetzten auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, hat er doch immer nur Gutes im Sinn gehabt. Ich kann noch gar nicht abschätzen wie sehr er mir fehlen wird aber unsere Reise geht weiter, da bin ich sicher. Bis dahin. Tschüß Papa!

6 comments to Eine Reise

  • Mein Beileid und danke für den schönen Text.

  • Rührender Artikel. Ich wünsche Dir viel Trost in schönen Erinnerungen.

  • rene

    oh mein gott, das tut mir leid!
    mein opa hatte damals zu deiner gartenzeit selber einen großen garten hinterm haus. in dem wir viel zeit verbracht haben. ich hatte viele erinnerung, als ich deinen text gelesen habe. zum FC bin ich über die sportschau samstags gekommen, die war pflichtprogramm. mein vater hat vorher immer schon über den WDR den spieltag im radio gehört. ich fand das doof. ich wollte das spiel im TV sehen und habe es gehasst, dass die zusammenfassungen so kurz waren.
    mein erstes FC spiel war dann auch das pokalfinale gegen die fortuna. ich war damals mit meinem pap dort. und einem freund von ihm. der war fortuna-fan, weil die eben aussenseiter waren. oh mein gott fand ich das dämlich, wie konnte man den kein FC fan sein?

    mein pap lag vor 6 jahren mit krebs im krankenhaus. es ging ihm verdammt schlecht. einige wochen im künstlichen koma. aber irgendwie hat er es geschafft. in den letzten jahren habe ich aber so viele freunde und familie an den scheiss krebs verloren, dass ich ihn auch zu hassen gelernt habe.

    ich wünsche dir das beste!!! von herzen!!!

  • boemmes

    Ein wunderbarer Eintrag und mein herzliches Beileid.

  • seite12

    Schade, dass dieser tolle Text mit diesem traurigen Anlas verbunden ist. Wünsche Euch Kraft.

  • […] Abschluß bildet Der vierte Offizielle und dieser Beitrag gehört an den Anfang und an das Ende. Ein wunderschöner Artikel, der den […]

Haut rein, schreibt mir was!