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Finale – Eine Ode an die Mannschaft

“Fantastisch” – “Wahnsinn” – “Unglaublich” – “Berauschend” – “Demütigung”.

Die Superlativen kommen angeflogen wie Thomas Müller, wenn er ein nahendes Verteidigerbein ahnt. Deutschland demütigt Brasilien im eigenen Land. Historisch? Ja! Sensationell? In der Höhe ja. Ein Zusammenspiel von rauschhafter Selbstsicherheit und gnadenloser Versagensangst beim Gastgeber ebnet den Weg zu einem Triumph, den niemand, ich am allerwenigsten, für möglich gehalten hat. Seit dem Algerien-Spiel, was ja eigentlich auch ungefährdet gewonnen wurde aber am (eigenen) Anspruch medial zerschellte, scheint sich “die Mannschaft” endgültig geschworen zu haben es allen zu zeigen. Der Geist von Campo Bahia sozusagen. Spiez lässt grüßen. Ungarn auch.

Gestern dann das zweite Halbfinale mit einer fußballerischen Antithese. Argentinien und die Niederlande bekriegen sich auf dem Platz wie zwei zwölfjährige Schulmädchen. Man ruppt ein wenig, es wird gekreischt aber letztlich kommt nix dabei heraus. Im Elfmeterschießen versagen die Holländer und schon sind wir wieder in den 80er wo Argentinien gegen Deutschland das Fußballspiel war. ’86 hilet Toni den Ball nicht, ’90 schwalbte Völler und Andreas Brehme dachte nicht lange nach. Es steht 1:1 in Finalspielen. Am Sonntag dann der Tiebreaker.

Und schon kommen die Mahner. Völlig zurecht natürlich. “Das wird ein ganz anderes Spiel”…

Ja, wird es. Aber vor was soll diese deutsche Mannschaft noch Angst haben? Vor wem soll sie sich in die Hose machen? Sie können es eigentlich nur noch selbst verbocken. Das Team (mit der Aufstellung der letzten beiden Spiele) ist besser als alles andere, was wir bisher als Mannschaftsverband bei dieser WM gesehen haben. Gut, ich würde natürlich noch Podolski oder -von mir aus und unter ganz großen Schmerzen- auch Schürrle anstatt Özil bringen aber auch mit Özil als linkem Außenstürmer sehe ich wenig Gefahr für das deutsche Spiel. Wenn man sich selbst treu bleibt. Wenn man einen Plan für das eigene Spiel hat und nicht versucht panisch auf das argentinische Spiel zu reagieren. Italien und Spanien aus den Köpfen.

Gehen wir mal von den Halbfinalaufstellungen aus.

Deutschland steht in der Viererkette mittlerweile anständig, Höwedes verstehe ich zwar immer noch nicht, weil er keine Spieleröffnung hat, die linke Außenbahn damit einigermaßen unnutzbar wird aber im Stellungsspiel sieht es mittlerweile besser aus. Er wird eine tragende Rolle am Sonntag spielen, denn Messi wird ziemlich sicher über rechts versuchen in Tritt zu kommen. Hier braucht es dann Unterstüzung von Hummels, denn doppeln sollte man ihn schon, dafür ist es halt immer noch Messi. Aber genau das zeigt Hummels. Er ist enorm wichtig für die deutsche Innenverteidigung, weil er immer und auf jeder defensiven Position einspringen kann, Spielsituationen erkennt und einfach oft am richtigen Platz ist. Die Schnittstelle zwischen linkem Außenverteidiger und halblinkem Innenverteidiger wird für das Offensivspiel der Argentinier die alles entscheidende Anlaufstelle sein. Ist da dicht, wird’s sehr, sehr schwer für Sabellas Mannschaft.

Auf rechts wird Messi von Perez unterstützt, der aber jetzt nicht irgendwie großartig auffiel. Im Halbfinale ging praktisch jeder Ball quer oder zurück. Ein Zuspiel in den Raum gab es nicht. Klar, die Niederländer standen dann auch tief und auf einer Linie, Blind und Martins Indi empfingen Perez und/oder Messi recht früh, machten alle Räume zu und in der Mitte wartete dann Vlaa auf frisches Holz. Da muss ich dann aber auf Unterstützung aus dem zentralen Mittelfeld setzen. Wenn ich denn ein Tor schießen will. Und genau das war der Unterschied in den beiden Halbfinals. Deutschland wollte gewinnen. Argentinien und Holland wollten beide nicht verlieren.

Aus der argentinischen Zentrale kam genau nichts. Biglia und Mascherano waren mehr mit sich selbst und der eigenen Angst vor Fehlern beschäftigt als großartig kreativ zu wirken. Mascherano probierte es wenigstens ab und an mal mit ein paar Metern Richtung Tor, sprintete dann aber umgehend wieder auf seine taktische Position zurück. Da ist Deutschland deutlich besser aufgestellt. Schweinsteiger kann -in guten Spielen- das Team dirigieren, Khedira und Kroos als Anspielstation rechts und links können sich sowohl fallen lassen und damit die Räume eng machen oder nach vorne mitspielen und Überzahl generieren. Da ist die deutsche Mannschaft einfach deutlich flexibler. Dazu hat man mit Müller einen Angriffsspieler, der nicht positionsgebunden ist, sondern sowohl über Außen anspielbar sein wird oder, wenn z.B. Khedira wieder auf rechts durchgeht sich mittig orientieren kann und damit im Verbund mit dem Mittelstürmer die argentinische Abwehr zum reagieren zwingt. Auf rechts steht dann Rojo, der wohl veruschen wird die Durchstöße auf rechts gar nicht erst bis Höhe Strafraum zuzulassen, in der Innenverteidigung Garay und Demichelis. Soll Deutschland da in Ehrfurcht erzittern? Quark.

Dazu dann, wie gesagt, die hohe Flexibilität im zentralen Mittelfeld, die Möglichkeit schnell und effektiv umzuschalten, das Spiel zu verlagern und die Seiten zu wechseln. Das bringt die hohe Pass-Sicherheit und das enorme Selbstvertrauen (Kroos!) eben mit sich. Bei Argentinien sehe ich dieses Umschaltspiel im Moment gar nicht. Wie gesagt, im Halbfinale war sklavische Positionstreue angesagt und von der Offensivabteilung neben Messi kam auch nichts. Higuain wartet nur auf Bälle, die aber meistens nicht kommen und Lavezzi auf links war gegen Holland zwar fleißig aber nicht zwingend. Gegen Deutschland werden es die beiden mit Lahm und Boateng zu tun bekommen, was ihnen die Sache nicht einfachen machen wird. Dazu erwarte ich eben einen sehr flexiblen Khedira, der bei argentinischem Ballbesitz die Lücken zumachen wird.

Ganz ehrlich, so wie Deutschland im Moment aufgestellt ist, sehe ich keine Mannschaft der Welt, die da mithalten kann. Mein Pessimismus aus dem Viertelfinale ist mit der Rückkehr zu einer traditionellen Aufstellung gewichen. Schon gegen Frankreich hat die Mannschaft so gut wie nichts zugelassen und hätte in der zweiten Halbzeit nur etwas effektiver auftreten müssen, dann wär das Ding auch fix klar gewesen. Frankreich hat mich in diesem Spiel schwer enttäuscht aber vielleicht hätte mich Deutschland eher mehr begeistern müssen, denn wenn ich nochmal darüber nachdenke, hat es Gründe warum z.B. Pogba so gar nicht ins Spiel gekommen ist. Er hatte schlicht keinen Platz und keine Zeit, weil Deutschland die Räume so verengte, dass nur der Quer- oder Rückpass blieb. Und in den zwei Situationen, in denen Frankreich durchkam, stand da ja noch Manuel Neuer, vor dem man sich, völlig neutral, tief verbeugen muss. Die Ruhe, mit der er das deutsche Tor hütet, ist atemberaubend, seine Reflexe sind Weltklasse, dazu noch die sehr moderne Interpretation des mitspielenden Torwarts. Das ist verdammt großartig! Auch hier ist Deutschland besser besetzt als Argentinien, weil Romero deutliche Schwächen in der Strafraumbeherrschung hat und auch gerne mal einen Ball prallen lässt. Gegen Klose ein eher mittelprächtiger Plan.

Alles ist angerichtet für Sonntag. Deutschland platzt vor Selbstvertrauen, Argentinien muss Respekt vor diesem Gegner haben. Umgekehrt gilt das natürlich auch aber da mache ich mir überhaupt keine Sorgen, denn aus jedem Interview, aus jeder Nachricht liest man eine klare Nüchternheit. “Wir haben noch nichts erreicht, wir haben ein Ziel, wir wollen Weltmeister werden. Und wir werden Weltmeister!” Das mag an Arroganz grenzen aber es zeigt eben diesen Mannschaftsgeist, der mich so langsam auch gefangen nimmt. Klar, ein 7:1-Sieg gegen einen völlig in sich zusammenfallenden Gastgeber Brasilien macht Spaß aber eigentlich ist die zweite Halbzeit viel aufschlussreicher als die rauschhaften zehn Minuten in der ersten Hälfte. Deutschland behandelte den verzweifelt anlaufenden Rekordweltmeister mit Respekt, lies sie mitspielen. Das muss man sich mal vorstellen. Und als sich dann noch ein, zwei Lücken auftaten, ging man halt mal kurz nach vorne, schoss noch zwei Tore und begnügte sich damit (Okay, Özil, okay). Das war wirklich klinisch gespielt. Mit aller Macht versuchten die Brasilianer noch das Ergebnis zu schönen aber an dieser deutschen Mannschaft prallte jeder Versuch ab. Das war ganz, ganz groß. Dass sich Neuer am Ende über das Gegentor ärgerte zeigt das nur umso mehr.

Also. “Aufpassen” – ja. “Es wird ein anderes Spiel” – ja. Aber es gibt im Moment keinen Grund an dieser deutschen Mannschaft zu zweifeln. Messi ist überragend aber das deutsche Team ist als Gesamtkunstwerk überragend. Das wird reichen. Deutschland wird Weltmeister. Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?

9 comments to Finale – Eine Ode an die Mannschaft

  • Toller und sehr treffender Artikel! Entscheidend war für mich ganz klar die Rückkehr zum traditionellen Spielsystem! Und auch in Bezug auf Höwedes gebe ich Dir Recht. Generell wünsche ich mir dort einen AV, der auch das Offensivspiel belebt – wäre auch für Özil einfacher und vorteilhafter. Aber für “Experimente” ist es nun ohnehin zu spät. Deutschland wird am Sonntag Weltmeister. Alles andere wäre echt ne Katastrophe.
    LG.
    Markus (sukramleguelf.blogspot.com)

  • Marc

    Sehr sehr schöner Artikel! Es muss am Sonntag einfach klappen! Ich hab mir auch schon den 4.Stern für mein Trikot aus dem Bausatz (http://bit.ly/DIY4stern) ausgeschnitten! Es muss einfach dieses Jahr klappen!!!! 😀

  • ralf

    nette Analyse, Ich hoffe bloß das Jogi nicht den gleichen Fehler macht wie damals gegen Italien- Während des tuniers der Gegner muß sich nach uns richten-gegen Italien was mach ich gegen Pierlo Also gegen Argentinien muß es heißen: Wir setzen unser Spiel durch und die “Gauchos” sollen sich nach uns richten, nicht umgekehrt

  • JuergenL

    Treffend beschrieben. Ich glaube nicht das Löw nochmal den Fehler wie 2012 begeht. Zumal die Mannschaft in der Lage ist auf den Gegner zu reagieren. Hatte sie 2010 und 2012 noch Probleme ihr Spiel zu ändern, ist das bei diesem Turnier kein Problem. Nach einer furchtbaren ersten Hälfte gegen Algerien, gelang es der Truppe das Spiel unter Kontrolle zu bekommen. Algerien hatte in der 2.Halbzeit und in der Verlängerung nichts mehr zu bestellen.
    Interessanterweise hat die Mannschaft die Fähigkeit schnell und richtig gut Fussball zu spielen nicht verloren. Portugal und die Brasilianer haben das zu spüren bekommen. Gibt man ihnen Raum, sind sie nur schwer zu stoppen. Brasilien, muss man wirklich zugeben, war ein Gegner ohne System, ohne Plan. Einfach nur drauf und versuchen mit Emotionen was zu erreichen. Damit wurden sie von den Deutschen zur Schlachtbank geführt. Sah phasenweise aus wie ein Erstrundenspiel im DFB Pokal.

    Gegen Argentinien wird anders, schwieriger. Ich möchte die Argentinier, obwohl sie auch einer meiner Topfavoriten waren, nicht stärker reden als sie sind. Defensiv stark mit einem Messi vorne drin der zu allem fähig ist. Wenn di Maria nicht spielt, war es das auch schon. Im ganzen Turnier ist diese Abwehr noch nie richtig unter Druck gekommen. Die Holländer haben gestern, was ich nicht verstanden habe, nach vorne nur mit gebremsten Schaum gespielt. Angst was falsch zu machen.
    Ich bin mir sicher das die deutsche Offensive in der Lage ist die argentinische Deckung in richtige Schwierigkeiten zu bringen. Kombinationsstark und mit richtig Tempo wird das für jede Abwehr ein Problem. Und wer Martin Demechelis in seinen Reihen hat, kann bestimmt nicht vom Tempo leben. Man muss nur aufpassen das ein Messi nicht einen seiner Geniestreiche auspackt. Wie herausragende Angreifer aus dem Spiel genommen werden, hat Deutschland schon mehrfach gegen Ronaldo bewiesen.

    Diese deutsche Mannschaft ist meiner Meinung reif für den Titel. Die Reaktion nach dem Spiel in Belo Horizonte spricht Bände. Keine Euphorie, sachlich und wissen das noch nichts erreicht ist. So muss das sein. Es wird schwierig am Sonntag, aber es reicht. Am Sonntag wird Lahm den Pokal in den Nachthimmel von Rio halten. Und ich werde mich freuen wie ein kleines Kind.

  • Genial geschrieben,nur das ich glaube das ,das Ergebnis auch sehr deutlich ausfallen wird:minestens 3:0

  • Viggo Hinrichsen

    Weiß jemand wie heiß es eigentlich am Sonntag wird? Die spielen eine Stunde früher. Wenn da wieder sehr hohe Temperaturen herrschen, dann ist das doch echt ein Faktor der mitgerechnet werden sollte, oder wie oder was?

  • @Viggo Hinrichsen 20-22°C, evtl. Regen. Kein Faktor.

  • Viggo Hinrichsen

    @aXel

    Danke 🙂

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Haut rein, schreibt mir was!