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Zu kurz gekommen?

Eigentlich hatte ich mit der Causa Pezzoni, mit der Vertragsauflösung und mit dem ganzen Drumherum einigermaßen abgeschlossen. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass es mir nicht wirklich wichtig war. Das Verhalten der Leute, sowohl im virtuellen Raum, als auch im richtigen Leben den Menschen zu mobben, an den Pranger zu stellen und zu bedrohen ist immer noch unentschuldbar und dumm und kleingeistig, da müssen wir uns doch bestimmt nicht drüber unterhalten aber im Laufe des Tages habe ich ein paar Artikel zu dem Thema gelesen, ein paar Meinungen auf twitter gehört und habe dann doch noch ein paar, vielleicht generelle Gedanken zu dem was in Köln passiert, denn langsam bekomme ich den Eindruck, dass eine ganze Stadt, eine ganze Fankultur gebrandmarkt wird und das haben wir nicht verdient, beim besten Willen nicht.

Ich bin kein Psychologe, ich habe zwar Bufford gelesen und das Prinzip der Masse kann man auch mit halbem Gehirn verstehen aber fundiert ist das natürlich alles nicht. Das zum Start, nur bevor gleich wieder die Messer gewetzt werden.

Die Meldungen über die Gewaltausbrüche, über gebrochene Nasen und angegriffene Busse auf Autobahnen haben in den letzten Jahren zugenommen. Das mag durch die Sensibilisierung der Medien, durch das Internet und durch Foren begünstigt sein aber subjektiv ist es einfach ein Anstieg an meldungswürdigem Fehlverhalten in den Vergleichen zu den 80er, 90er und 2000er Jahren. Nun war es schon immer so, dass es beim Fußball (und hier war Köln immer eine “Topadresse” in Deutschland) zu Gewaltausbrüchen kam. Im alten Müngersdorfer Stadion, im Block 4 waren an guten Tagen bestimmt 300 Jahre Zuchthaus versammelt. Die “Northside Boyz”, die “RedWhite Army“, “Red Army Cologne” “SüdstadtBoyz Cologne” und wie sie alle hießen. Diese Gruppen waren, da gibt es auch eigentlich heute keinen anderen Ausdruck für, Hooligans. In den frühen 90er Jahren, in denen ich meine Sozialisierung im Stadion hatte, waren die “Jungs” bekannt. Man wusste, wen man vor sich hatte und entsprechend wurde reagiert. Eine Gegenbewegung gab es im Prinzip noch nicht. Es gab die Südkurve, die Kuttenfans und es gab den Stehplatz Mitte, die studentische Vereinigung und ihren Helden Frank Ordenewitz. Damit hatte man auch schon 90% der Stadionauslastung an einem normalen Spieltag beisammen, denn wir reden hier von Zeiten wo 15 – 20.000 Zuschauer ein großer Besucherandrang war. Mittwochs Abends im Eisregen gegen den FC Homburg oder den 1.FC Saarbrücken? Vergiss es. Wenn da fünfstellige Besucherzahlen erreicht wurden, dann war das ein guter Tag!

Einen ersten Umbruch erlebte die Kölner Szene mit der Bildung der Ultras CCAA, vielleicht, ganz, ganz vielleicht sogar schon mit dem FanProjekt, mit organisierten Fahrten und dem Magazin “Kölsch live”. Das waren erste Anhaltspunkte, dass “Bewegung” in das Fansein kommen kann. Der 1.FC Köln leistete sich mit Rainer Mendel einen hauptberuflichen Fanbetreuer (meines Wissens einer der ersten in Deutschland) zu Zeiten als die Schalker Glatzen noch von Charly Neumann mit Freibier beruhigt werden mussten (kein Scherz, ich war dabei, ich hab’s gesehen). Mit den Ultras, ihrer klaren Distanzierung zu den Kutten und der größeren medialen Aufmerksamkeit bekamen die Hooligans, ein echtes Nachwuchsproblem. Die meisten jungen Zuschauer faszinierte das “Neue” auf dem Oberrang Süd anscheinend deutlich mehr als die althergebrachten Strukturen und die Wahl zwischen Kutte und Chiemsee-Pullover. So kam es, wie in jeder guten Geschichte, zum Dramaplot. Die Hierarchie bei CCAA war auf einmal nicht mehr ganz so klar. Immer mehr jüngere Mitglieder sorgten bei den “Alten” für Kopfschütteln und Verzagtheit. Das Resultat dieser Grabenkämpfe ist die “Wilde Horde” und deren Abspaltung in die Stehplätze der Südkurve.

Mittlerweile ist die “Wilde Horde” die dominierende Kraft in Köln geworden. Überall heißt es nur noch “Ultra, Ultra, Ultra”. Der alte Block 4 -im neuen Stadion N13- ist sowas wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. An guten Tagen sind sie noch präsent aber eigentlich hat man lange nichts mehr von ihnen gehört, außer, dass sie natürlich noch da sind. “Nordkurve, Nordkurve” halt es manchmal immer noch durch Müngersdorf und mit ziemlich großer Verlässlichkeit reagiert die “Nord” und sei es nur um die unter ihnen plazierten gegnerischen Fans wissen zu lassen, dass man noch da ist. Man möge das so sehen wie der Senior, der seine Krankenschwester auch nachts um drei noch wegen einem zweiten Kissen anbimmelt: “Bild Dir bloß nicht ein, dass Du Dir ein schönes Leben machen kannst, ich bin noch da!” Letztlich ist das aber mittlerweile harmlos. Zumindest im Stadion. In Köln gibt es immer noch Kneipen wo man besser wissen sollte, wer dort verkehrt, bevor man einen Fuß hineinsetzt. Jedenfalls nach effzeh-Spielen. Das kann man aber wissen, wenn man sich damit beschäftigt.

Nun ist es ja bekanntlich so, dass der 1.FC Köln seit langer, langer Zeit nur von seiner Geschichte lebt. Was waren wir ein stolzer Club! Erster deutscher Meister in der Bundesliga, Liverpool, Madrid, das weiße Ballett, die Diva vom Rhein. Sogar auf den Aufklebern der Ultras prangt Franz Kremer der fragt: “Wollt Ihr mit mir deutscher Meister werden?”. Begraben und vergessen. Die Realität sieht anders aus. In der Stadt, die so emotional, so hysterisch auf jeden Schluckauf reagiert, immer nur redet wie toll sie ist und dennoch an jeder Ecke nach Mief und Muff und Moder riecht. Es geht nicht vorwärts, es herrscht auf allen Ebenen kölscher Dilettantismus. Das betrifft ja nicht nur den Fußball, sondern das Leben in der Stadt an sich. Wenn man im Lexikon unter “dümmster und schlechtester ÖPNV nach dem 17. Jahrhundert” nachguckt, sieht man eine KVB-Bahn. Schau mal unter “häßlichster zentraler Platz Deutschlands” nach und Dir springt der Ebertplatz entgegen. Alle drei Wochen steht in der EXPRESS irgendwas von neuen “U-Bahn-Schlägern” oder Angriffen aus dem Nichts auf unbedachte Passanten. Es stimmt doch schon seit Jahren etwas nicht bei uns. Das ist doch nicht nur ein Fußballproblem. Aber eben ein Gesellschaftliches und deswegen auch wieder etwas was uns zu beschäftigen hat, denn das Publikum im Fußball ist nunmal ein ziemlich sauberer Querschnitt unserer Gesellschaft. Leider ist es hier nicht anderes als im richtigen Leben: Die Lautesten bekommen die meiste Aufmerksamkeit.

Und nun kommt die Kurve: Durch die Aktionen der Vergangenheit (“Wenn Ihr absteigt, schlagen wir Euch tot” am Geißbockheim, Busangriff, Bengalos gegen Bayern usw, usf) war und ist die Meßlatte schon recht hoch angelegt und ich bin als Täter vielleicht auch nicht zwangsläufig eine intellektuelle Granate, rege mich tierisch auf, dass meine Stadt, mein Verein, der mir soviel bedeutet den Bach runtergeht und auf einmal tanzt da Michal Kadlec durch “meine” Disko, atmet “meine” Luft und lacht sich tot, dass er bei Leverkusen spielt. Dem Club, der für all das steht, was uns fehlt: Erfolg, gute Spieler, Geld wie Heu. Und der tanzt mir vor der Nase rum? Nee, nicht mit mir, mein Freund, jetzt gibts auf die Zwölf.

Dass Pezzoni im Karneval auch auf die Nase bekam hat wohl recht wenig mit dem Fußball zu tun, sondern war ein eher “persönliches Problem”, ganz unabhängig davon, dass er in Hürth (dort wo er gelebt hat) eh wohl einen ziemlichen “Ruf” hatte. Aber, davon weiß ich zu wenig, das meiste ist Hörensagen, lassen wir das mal. Die Dynamik, die sich durch Facebook entwickelte, hat bei den falschen Leuten die falschen Instinkte angesprochen und sich durch stumpfen Blödsinn entladen. Ich will die Rolle des 1.FC Köln nicht werten, ich habe mich für dieses Jahr schon angreifbar genug gemacht, ich behalte da meine Meinung lieber für mich. Ob es nun eine “Kapitulation” vor der Gewalt war oder ob “besonnen gehandelt” wurde, ist letztlich auch egal, das Ergebnis ist gleich. Aber es hilft doch nicht jetzt ein paar “Wir zeigen Gewalt” die rote Karte”-Aktionen aus dem Boden zu stampfen. Ist zwar gut gemeint aber wirkungslos. Mir kommt es so vor als haben alle diese Aktionen eins gemeinsam. Es handelt sich um Frustabbau. Und das passiert, wenn man sich vorkommt als sei man zu kurz gekommen, im Leben. Die anderen haben alles, wir (oder ich) habe gar nichts. Ich habe keine Lösung des Problems, das müssen andere in die Hand nehmen aber ich weiß, dass ich kein Teil dieser frustrierten Personen bin und ich auch niemanden kenne, der dazu gehören könnte.

Ich bin Fan des 1.FC Köln, Ich will nicht unter Generalverdacht stehen. Ich will mich nicht in fremden Stadien bis auf die Unterhose ausziehen müssen und ich will nicht an Autobahnraststätten von Zivilpolizisten kontrolliert werden. Dies zu akzeptieren und umzusetzen, muss doch jetzt die eigentliche Aufgabe des Vereins sein, der zur Zeit nur davon redet mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen zu arbeiten, noch mehr zu kontrollieren und noch härter durchzugreifen. Baut Vertrauen auf, schützt Eure Fans, tretet für sie ein! Vielleicht erübrigt sich dann nicht jeder Mist aber es kann doch sein, dass man auch mal positiven Einfluss zeigt, dass man erkennbar macht, dass man stolz auf die Fans ist und nicht nur mit leeren Worten feiert wie toll alles ist, wenn die Südkurve wieder mal singt. Abschreckung als alleiniges Mittel hat noch nie funktioniert. Kann man an jeder Todesstrafenstatistik ablesen. Natürlich muss der Verein, falls wirkliche Beweise vorliegen handeln aber nun Strafanzeige wegen eines Facebook-Eintrags zu stellen hört sich für mich nicht nach einer zwingend erforderlichen Maßnahme an. Vielleicht sollte man den Facebookler mal zu einer Kopfwäsche bei Toni Schumacher verdonnern, das hätte garantiert eine weitaus größere Wirkung als alles nur juristisch lösen zu wollen. Und ganz sicher würde man Holzhäuser damit auch zur Ruhe bringen, der natürlich auch seinen Senf dabeigeben muss und mich auf die Palme bring. [Könnt ihr googlen, verlink ich nicht]

Ich weiß, es ist fast nicht mehr umzusetzen (bei diesem DFB sowieso nicht) aber wäre es nicht mal toll die friedlichen Fans und Stadionbesucher nicht immer mehr zu drangsalieren, nicht mit endlosen Leibesvisitationen zu entmenschlichen, sondern für einen respektvollen Umgang zu sorgen. Dieser wird von Mannschafts- und Vereinsseite gefordert aber wie mir scheint ist das nur einseitig gemeint. Der Fan resp. der Besucher hat sich zu nur zu fügen. Ob das immer das einzige Signal sein muss?

7 comments to Zu kurz gekommen?

  • Sven

    Die “RedWhite Army” gabs in Köln nicht. Die heißen Red Army Cologne. Eine Vereinigung Namens Südstadt Cologne gab es auch nie.

  • Sven hat natürlich Recht, die Gruppen hießen (oder heißen): “Red Army Cologne” und “Südstadt Boyz Cologne”. Ist geändert. Da sieht man mal wieder was passiert, wenn man aus der Lameng schreibt ohne zu googlen nur weil man denkt, man war ja dabei und kann sich dran erinnern…
    Ändert aber -glaube ich- nichts an der Aussage.

  • sapporo

    Was auch immer das bedeutet, aber in der Pressemitteilung von heute geht es nicht nur um die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden, sondern auch um Fandialog:
    Wir wollen den Dialog mit den Fans fördern und zugleich konsequent gegen Straftäter vorgehen. Beides ist wichtig.

  • […] Ganz zum Schluss: So ganz unähnlich ist Eintracht Frankfurt dem FC Köln ja nicht. Auch wenn der FC derzeit so in den Schlagzeilen ist, wie es die Eintracht bisher noch nicht gepackt hat. Als Lesetipp möchte ich heute die mal einen Text über die Befindlichkeit eines Kölner Fans zum Thema vorschlagen. Lesenwert, wie ich finde. […]

  • […] 4. Offizielle” schreibt in seinem Text “Zu kurz gekommen?” über die Fans des 1.FC Köln und hat klare Forderungen an die […]

  • Iluv

    Haqst mir aus dem Herz gesprochen. Gruß vom Main, einem Fussballliebhaber, Kuttenträger, Ultra, Fan, nicht Straftäter, nicht Taliban. Werft mir Emotionalität vor, aber behaltet 1984 George Orwell und Populismus.

  • vorwegrolf

    Well done, Mr. President!!!

Haut rein, schreibt mir was!