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FC – Berlin: Tony, Timo und ein Halleyuya

In der 77. Spielminute reicht es mir und meinem nicht mehr ganz jungen Herz plötzlich. Ich halte es nicht mehr aus und muss kurz weg vom Spielgeschehen. Gerade hat die Hertha den Ball wieder mal in Richtung 30-Meter-Grenze vor dem Kölner Tor geschlagen, da steht eigentlich niemand der den Ball verwerten kann, einzig Yuya Osako ist in Reichweite. Er hat Zeit zur kontrollierten Ballannahme, kann sogar schauen ob ein Konter eingeleitet werden kann und wenn nicht, auch nicht schlimm, dann wird eben ein wenig quer gepasst. Aber was passiert? Osako nimmt den Ball nicht an, sondern will ihn wieder in die Hälfte der Berliner zurück hauen, trifft ihn nicht richtig und nach ungefähr fünf Metern Raumgewinn nimmt ein Berliner die Pille wieder auf um den nächsten Angriff auf Timo Horns Tor zu starten. Ich raste dezent aus. Ich muss raus, ich kann das nicht mehr sehen. Wir führen 4 zu 2 gegen die Hertha und dennoch habe ich bei jedem gegnerischen Ballbesitz das Gefühl, dass irgendeine Katastrophe kurz bevor steht. Es wird noch was passieren, ich kann es praktisch in der Luft schmecken und dieser Klärungsversuch von Yuya bestärkt mich nur in meiner Annahme. Verdirb mir bloß nicht das Wochenende, effzeh. Macht es nicht. Lass es dir nicht einfallen.

Ich stehe auf, gehe mir einen Kaffee machen. Zum Glück muss ich nur einen Knopf drücken, denn motorische Aufgaben wären wohl nicht drin gewesen in dieser 77. Spielminute. Vielleicht war es auch schon die 78., wer weiß. Nach einer gefühlten Ewigkeit gucke ich wieder auf das Bild. Immer noch 4 zu 2, es läuft die 82. Minute. Okay, Okay. Wenn bis zur 91. Minute kein weiteres Gegentor fällt, erlaube ich mir an die drei Punkte zu hoffen, alles andere wäre töricht und naiv.

Die Zeit vergeht nicht. Ich beobachte die kleinen häßlichen Sekundenanzeiger oben rechts. Wie viel in fünf Sekunden auf dem Platz passieren kann. Unzählige Szenarien gehe ich in Gedanken durch. WhatsApp auf, was geschrieben, Twitter kurz durchgescrollt, aufgestanden, vier Runden ums Sofa getigert. Wieder ein Blick auf die Uhr. Das hat mir eine Minute gebracht. Noch fünf. Plus Nachspielzeit. Längst schon herrscht auch auf dem Feld keine stringente Ordnung mehr. Der effzeh stellt sich in den Weg, macht die Räume in der Mitte einigermaßen eng und haut die Bälle halt raus. Versucht sich seiner Haut zu retten wie Sigourney Weaver im ersten Alien: Situation erkennen, handeln. Keine Sekunde wird in die Zukunft geblickt. “Tor in Bremen” wird eingeblendet als ob es mich interessieren sollte. Tut es nicht.

Noch zwei Minuten. Ecke für die Hertha. Brooks geht wieder zum Kopfball, in mir bricht alles zusammen. Nein, Mann. Zu früh, das wären dann noch fünf Minuten. Oh Gott. Als nächstes sehe ich nur dass Maroh(?) den Ball raushaut, für den Augenblick klärt. Tiiiiiiimmmooooo ruft es in meinem Kopf. Wie geil der Typ ist. Gehalten.

Tick, Tack. Immer noch die Nachspielzeit. Ein Foul der Hertha, wir haben einen ruhenden Ball. Kommt schon Leute, das muss es doch sein. Der SKY-Reporter, ich glaube es war Roland Evers fängt schon mit dem Fazit an. Verdienter Sieg für den 1.FC Köln sagt er und ich versuche mich zu mäßigen um die Fernbedienung nicht ins Gerät zu schmeissen. Mann, halt den Mund, es sind noch zwei Minuten.

Noch mal ein Ballgewinn, ich stehe hinter dem Sofa, die Hände über dem Kopf, ich gucke nur noch halb hin. Jetzt müsste es eigentlich reichen. Ein paar Sekunden noch, das schafft nicht mal der effzeh noch zu verkacken, komm, flööt aff. Bitte.

Und dann ist es vorbei. Gewonnen. Ich sacke zusammen, kann mir nur ein “Puh” rausdrücken und schlage eine gefühlte Minute auf ein armes, eigentlich sehr unschuldiges und für Züchtigungen gar nicht vorgesehenes, Couchkissen ein. Mann, ey. Was der Fussball, nein, was der 1.FC Köln aus mir macht, Woche für Woche.

Dann setzt es langsam ein: Gewonnen, drei Punkte, vier Tore, Anthony Modeste, der effzeh auf Platz 6 nach 24 Spieltagen, was sind da schon die acht bis zehn Lebensjahre, die mich diese 90 Minuten (eigentlich nur die letzen 45 Minuten) gegen die Hertha gekostet haben? Nichts.

Ich überlege, ob ich diesen Text hier schreiben soll. Ich lasse es sein, ich bin zu müde.

Wow, was für ein Spiel. Wenn man es kurz zusammenfassen möchte, dann haben Tony Modeste und Timo Horn den Unterschied gemacht, denn Tony ist wirklich und wahrhaftig ein Magier in diesen Tagen. Er verwertet alles. Guckt euch mal das 2:0 an, dieses Tor ist absolute Weltklasse, genauso wie die Ballannahme vor dem 3:0. Fünfzig Millionen? Am Arsch, liebe Chinesen. Es gibt, ich bleibe dabei, kein Szenario in dem ich einen Wechsel in der laufenden Saison toleriert hätte. Der Mann ist mit Gold doch gar nicht aufzuwiegen. Er ist unsere Lebensversicherung, unser Herzschrittmacher. Auf der anderen Seite des Feldes ist Timo Horn gestern genau so wichtig gewesen, denn die drei Plus von Tony gleicht er mit Drei Minus für die Hertha aus. In der ersten Halbzeit hält er überragend gegen einen Ibišević-Kopfball, in der zweiten Halbzeit lenkt er -mit einem Monsterreflex- einen Ball über das Tor, der kam ebenfalls von Ibišević und wie oben beschrieben hält er auch noch den Kopfball von Brooks kurz vor Schluss. Das können genauso gut drei Gegentore sein.

Ja, ich gebe zu, das ist etwas kurz gegriffen. Die Mannschaft war als ganzes besser als in Ingolstadt aber das war auch nicht sonderlich schwer, denn wie jeder von euch gesehen hat, ist eine Verschlechterung zu diesem Auswärtsspiel letzte Woche wahrscheinlich qua Naturgesetze gar nicht möglich. Aber es gab schon ein paar Auffälligkeiten: Pawel Olkowski hatte seine Seite gut unter Kontrolle, machte wenige Fehler, auch weil er sich sehr streng auf seine Defensivaufgaben beschränkte und den Weg nach vorne nicht aktiv suchte. Im Mittelfeld hatte Matthias Lehmann endlich wieder die Zügel in der Hand, verteilte (natürlich besonders in der ersten Halbzeit) die Bälle geschickt und sicher. Milos Jojic rannte und kämpfte und hatte auch ein paar gute Szenen im Vortrag nach vorne, die jedoch leider oft im Ballverlust endeten, da er sich eine halbe Sekunde zu spät vom Spielgerät trennen wollte. Thomas und ich sprachen darüber ja schon im letzten Bockcast. Dennoch denke ich, dass es kein wirklich schlechtes Spiel von Jojic war. Jedenfalls war es kein Qualitätsverlust zu Rausch. Und dann ist da ja noch Yuya Osako, der wieder ein gutes Spiel machte. Nicht nur sein Tor zum 1:0, sondern auch seine Ballsicherheit und die Fähigkeit die durch Modeste gerissenen Lücken zu nutzen machen ihn im Moment wahnsinnig wertvoll für den effzeh.

Doch, es lässt sich nicht vermeiden, wir müssen auch ein paar Dinge ansprechen, die nicht so hundertprozentig gut laufen im Moment: Seit dem Debakel in Hamburg haben wir in sieben Spielen 15 Gegentore kassiert. Nur in einem Spiel (dem 1:1 in Freiburg gegen Schalke) blieb der effzeh ohne mindestens zwei gefangene Treffer. 15 Gegentore haben wir in der gesamten Hinserie kassiert. So viel zum Vergleich. Das ist zu viel, denn nicht in jedem Spiel kann Modeste drei Tore schießen. Woher kommt es, dass das einstige Prunkstück des 1.FC Köln, die stabile Abwehr so unsicher wirkt, dass wir diese oben beschriebene Angst haben müssen? Woher kommt die Unruhe, dass gefühlt jeder Ball, der auch nur annähernd in Richtung eigenes Tor geht ein potenzieller Gegentreffer ist?

Ich denke, dass die Erklärung gar nicht zuvorderst in der Abwehr zu suchen ist, denn auch wenn quasi in jedem Spiel eine andere Kette spielen muss, so sind die Protagonisten doch individuell nicht die schlechtesten in der Liga. Egal ob Maroh, Olkowski, Sörensen, Subotic, Heintz oder Hector, die Zusammenstellung kann nicht der Grund sein. Und dass Mavraj weg ist, dürfte auch keine Entschuldigung sein. Für mich liegt die Krux in der Unterstützung durch das Mittelfeld, die uns durch die vielen Verletzten immer mehr abhanden gekommen ist. Rausch, Zoller, Clemens, das ist leider keine Qualität (auch wenn Clemens gestern sein vielleicht bestes Spiel in dieser Saison machte), die uns hilft. Es werden einfach im Mittelfeld zu viele Bälle verloren, die dann zu einer Masse an Angriffen führen und die Abwehr mit laufender Spielzeit vor immer größere Probleme stellt. Die Laufleistung muss sich anpassen und das ist, vornehm ausgedrückt, nicht unbedingt die Stärke unserer Abwehr, die ja eher über das genaue Stellungsspiel und das geschickte Verschieben kommt.

Zum Glück ist jetzt erstmal eine Woche Pause. Leonardo Bittencourt dürfte in Hamburg wieder dabei sein, genauso wie Frederik Sörensen. Dann kann Hector wieder auf die Sechs um den Ausfall von Matthias Lehmann, der sich dummerweise die fünfte gelbe Karte abgeholt hat, zu kompensieren und dann gucken wir mal, dass es etwas stabiler ist, denn, wie gesagt, mit einem Zwei-Gegentore-Schnitt kommst du eigentlich nicht sonderlich weit in der Liga. Trotz eines Tony Modeste.

Doch heute können wir schon noch zufrieden sein. Der Sieg gibt uns Hoffnung, dass es vielleicht doch etwas werden könnte mit dem ganz großen Wurf dieses Jahr. Vor der Partie war es für mich das wichtigste Spiel des Jahres, denn bei einer Niederlage wäre Europa wohl kein Thema mehr gewesen. So aber lebt die Saison weiter.

Und auch wenn Carolin Kebekus, sich vor dem Spiel nicht entblödete bei SKY zu sagen: “Europa, Europa, wir brauchen Europa nicht, Europa soll zu uns kommen”, was mich so unglaublich aggressiv machte, dass ich am liebsten durch den Fernseher gesprungen wäre (wahrscheinlich wollte sie witzig sein und kommt doch nur rüber wie ein ignorantes, prolliges, vor allen Dingen dummes Asiweib – und zwar nicht als Rolle, sondern als reale Person, was es so traurig macht), so beharre ich auf dem Gegenteil: Doch, wir brauchen Europa. Ich brauche Europa. Bald.

Come on effzeh!

2 comments to FC – Berlin: Tony, Timo und ein Halleyuya

  • Tom the Knowing

    Passende Analyse. In der 80. Minute habe ich ausgeschaltet, weil mein inneres Auge schon das 4:3, 4:4, 4:5 fallen sah – und wieder verkackt. Zum Glück dann doch nicht. Du hast es ja schon gesagt, aber neben Tony Modeste sollte man Matze Lehmann loben. Und natürlich Timo Horn: Wie wir ihn kennen und lieben! Mal gucken, was jetzt noch geht; vielleicht fahren wir doch nach Baku…

  • TT

    Ging mir ebenso. Selten so nervös gewesen. Selbst das 3:0 fühlte sich nur wie ein 1:0 an. Und wenn irgendwann dieser Ibisevic Ernst macht – was er in der Regel gegen uns tut – , dann geht das wieder den Bach runter. Gefühlt hat der uns seit 10 Jahren immer wieder abgeschossen. Und sei’s in der 94. Minute …

    Ich vermute, für Modeste und Osaka zündet jemand jeden Tag ‘ne Kerze im Dom an, damit nicht auffällt, wie schwach das Spiel seit Wochen ist. Klar, es gibt reichlich Gründe, aber wenn im Mittelfeld kaum Selbstvertrauen ist, ‘nen Ball zu halten, erinnert mich das mitun-ter an einen Kotau. Strukturierte Angriffe aus dem Mittelfeld? Wenn es nicht schnell geht, wird die Begrenztheit offensichtlich. Man schaue sich Ballbesitz, Ecken, Standards – über die Einwürfe, die enorm viele Ballverluste produzieren, ganz zu schweigen – seit Rückrun-denbeginn an. Liegt diese Nervosität auch am Fehlen von Risse? Hatte ja große Hoffnung bez. Özcan, scheint leider noch nicht so weit zu sein.

    Ich hätte ja nie geglaubt, daß mit Kessler so viele Punkte geholt werden, bin aber trotzdem froh um Horns Rückkehr. Deswegen war er mir gestern auch schon ‘ne Viertelstunde vor Schluß eine Belobigung als “Fußballgott” bei Twitter wert.

    Daß das alles “Jammern auf höchstem Niveau” ist – geschenkt! Trotzdem trinke ich lieber Reissdorfer als Binding-Plörre.

    Am Rande: In Erinnerung an das “nicht elfmeterwürdige” Foul letzter Woche, als das Tor-wartknie mit Macht Rudnevs ins Kreuz gerammt wurde, fand ich den common sense beim Hertha-Elfer dann schon etwas erstaunlich. Aber da die Punkte im Sack sind …

    Come on EFFZEH!

Haut rein, schreibt mir was!