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Gladbach – FC: Hück steiht die Welt still

Als Manuel Gräfe zur Halbzeit pfiff, standen wir still von der Couch auf, gingen auf den Balkon, guckten uns niedergeschlagen an und gingen wortlos im Kreis wie eine eingeschnappte Präsidentschaftskandidatin, die nicht ihren Willen bekommen hat. Es fing an zu regnen und der Himmel flimmerte grau in grau vor unseren Augen. Schwer lagen die ersten 45 Minuten des Derbys auf unserer Seele. Wäre uns in diesem Moment Vergil begegnet, er hätte keinen Rat gehabt. Die Borussia hat uns dominiert, hat uns Grenzen aufgezeigt, hat mit dem 1.FC Köln praktisch gemacht, was sie wollte. Sie waren uns in allen Belangen überlegen, kombinierten sich traumwandlerisch sicher durch unsere Reihen, die als solche kaum zu erkennen waren und hatten Chancen für vier, fünf Tore. Der effzeh sah nach einem Spielball aus, nach einem Wollknäuel, das einer sehr großen Katze zum Amüsement gereicht wird. Es herrschte pures Chaos in der Zuordnung, es fand kein Aufbauspiel statt, die Zweikämpfe wurde allesamt verloren, es war zum heulen.

“Gut”, durchbrach Freund Stefan die triste Stille, “immerhin sind wir nur mit einem 0:1 in die Pause, es kann ja nur besser werden”. Hitzige Diskussionen folgten, ob dem Sinn oder Unsinn einer neuerlichen Systemumstellung, warum die Dreier- respektive Fünferkette nicht greift, warum wir uns auf den Außen sowohl vorne als auch hinten wie eine Kindermannschaft anstellten, woher die Ungenauigkeiten und die merkwürdige leidenschaftslose Spielweise herrührt. Obwohl leidenschaftslos vielleicht sogar das falsche Wort ist, ich weiß es nicht mehr so genau.

Zurück im Wohnzimmer, die zweite Hälfte begann, wurde die Stimmung noch ein wenig gedrückter, denn Rudnevs durfte das Spielfeld betreten. Matthias Lehmann hatte sich verletzt, wie heute mitgeteilt wurde handelt es sich bei ihm um einen Bänder-Teilabriss, der einen mehrwöchigen Ausfall bedeutet. Wir müssen nicht viel Phantasie haben um auch hinter das Kalenderjahr von Matze Lehmann einen Haken zu machen. Im Moment haben wir echt die Seuche. Viel mehr Leistungsträger dürfen nicht ausfallen, denn der Kader ist leider nicht so breit, dass wir das immer kompensieren können. Bittencourt, Horn, Maroh und jetzt Lehmann tun uns halt schon richtig weh.

Jetzt also Rudnevs, der schon zwei Mal im Abseits stand, bevor Borussia Mönchengladbach überhaupt aus der Pause zurück kam. Junge, Junge…

Mit der Umstellung kam etwas Ordnung in das Kölner Spiel, die Räume wurden enger, der Ball zirkulierte nicht mehr so leicht wie noch zu Beginn durch die Reihen der Fohlen und es gab tatsächlich sowas wie ein Umschaltspiel. Das Spiel wurde auf die Außen verlagert, es fand der Versuch statt die Spitzen mehr ins Spiel zu bringen aber alles war immer noch durchzogen von Abspielfehlern und Ungenauigkeiten. Viele einfache Bälle, die den eigenen Abnehmer nicht fanden, wir waren immer noch konsterniert.

Eine halbe Stunde noch. Mach was, effzeh. LOS!

Dominique Heintz, der bis dahin ein Spiel abgeliefert hat, das mit fahrig nur unzureichend beschrieben ist (er war mehr das fußballerische Äquivalent zur “Frisur” von Boris Johnson als ein Abwehr-Stabilisator) pöllt das Ding in Richtung Modeste, doch Vestergaard ist zur Stelle und köpft den Ball…

…genau auf den Schädel von Tony. Der Ball findet das kurze Eck, Sommer kann nichts machen, Ausgleich. Die Umschreibung “aus dem Nichts”, die in diesen Situationen gerne genommen wird, ist diesmal fast schon richtig. Das Tor stellte den Spielverlauf komplett auf den Kopf auch wenn es “nur” der Ausgleich war. Mehr spielerisches Vakuum als der 1.FC Köln bis zur 60. Minute bot, geht eigentlich gar nicht. Aber, dies zur Lehre, Borussia: Selbst in den eher schlechten Spielen des effzeh darfst du als Gegner deine Chancen nicht liegen lassen. Jedenfalls aktuell nicht. Das Team bestraft Nachlässigkeiten gnadenlos. Wie auch immer sie dies machen, was auch immer der Grund dafür ist. Es ist nicht mehr mit purem Glück zu erklären, dafür passiert es viel zu regelmäßig.

In der Folgezeit, wir saßen auf einmal wie elektrisiert auf dem Sofa, wurde das Spiel offener aber immer noch, das muss man einfach zugeben, mit leichten Vorteilen für Gladbach. Auch die Qualität der Chancen war auf der Gegenseite größer, doch Thomas Kessler lieferte als Ersatz für Timo Horn eine fantastische Leistung ab, hielt das Unentschieden mit zwei Weltklasse-Paraden gegen Stindl und Johnson fest, strahlte Sicherheit und Souveränität aus und ließ mich, stände ich jetzt vor ihm und hätte eine Mütze an, diese ziehen und eine tiefe Verbeugung machen. Es freut mich kolossal für Kess, der die personifizierte FC-Seele zu sein scheint. Dass er einen wahnsinnig großen Anteil an dem Sieg hatte, ist das Sahne-Tüpfelchen auf der effzeh-Buttercreme-Torte. Die Cocktail-Kirsche auf dem Eisbecher, die Senfsauce zu den Chicken McNuggets. Träumchen.

So geht es in die letzten Minuten und wir sitzen mittlerweile wieder stumm vor dem Gerät. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, ab und zu ein leises Aufstöhnen, ein nervöser Blick auf die Uhr. Bitte, bitte, lass es vorbei sein. Wenn wir mit dieser ersten Halbzeit einen Punkt aus Gladbach mitnehmen, was soll uns da noch passieren? Wie hab ich eigentlich getippt? Will noch jemand ein Bier? Verdammt, der Kaffee, ich muss mal auf Toilette. Wie lange ist Nachspielzeit? Drei Minuten? Drei verdammte Minuten noch. Mach schon, flööt aff.

Eyy! Freistoß. Gut, bringt Zeit. Komm Risse, wie gegen Hoffenheim. Haha. Verdrängungslachen im Plenum. Freund Stefan fragt Freund Christoph ob es okay wäre, wenn der Wohnzimmer-Glastisch, an dem wir sitzen beim nun folgenden Torjubel kaputt gehen könnte. Christoph weist auf eine kleine Stelle am anderen Ende des Tisches hin und verneint die Frage. Nö, passt schon. Salih Özcan tippt den Ball an, bis zum Tor sind es gute 30, 35 Meter…

Mittlerweile ist es Nacht geworden. Wir stehen an der Theke im Partykeller, feiern den Geburtstag von Freund Christoph und lachen, trinken, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Immer wieder gehen wir diese eine Szene durch. Immer wieder sehen wir den Ball flattern, immer wieder von neuem fallen wir uns in die Arme. Hürens, wie hat der effzeh jespillt? Wor dat hück? Hann die jespillt? Jo, ich weiß et nit. Ens luure. Och, luur, hann jewunne. Irgendwann findet jemand auf seinem Handtelefon die Live-Schnipsel von Radio Köln. Guido Ostrowski berichtet in Echtzeit von seinem Herzinfarkt:

Und dann geht die Nacht in den Morgen über, wir laufen durch leere Straßen nach Hause und können es immer noch nicht fassen. Wie hat der effzeh dieses Spiel nur gewonnen? Wie kann das nur sein? Wir sind unzerstörbar und uns gehört die Welt. Zwei zu eins im Derby. In Gladbach, der erste Sieg seit Milivoje Novakovič (übrigens aus ähnlicher Position und auch mit ablaufender Spielzeit) Jos Luhukay gefeuert hat. Am Montag werden wir alle im Trikot auf die Arbeit gehen, denn in jedem Büro in Köln gibt es immer mindestens einen Gladbach-Fan. Wir werden strahlen ob der Pein des Kollegen und werden generös sein bei der Nachbetrachtung. Ja, eigentlich war Borussia die bessere Mannschaft, aber weisste was? Im Fußball gibt es keine B-Note und wenn euer Trainer in der 89. Minute, im Derby, zu Hause, bei Unentschieden, Jantschke für Dahoud bringt, vielleicht habt ihr es dann auch nicht anders verdient. Das muss dann auch mal gesagt werden.

Sei es wie es sei, der effzeh hat das Derby gewonnen, ich strahle mit Tschernobyl um die Wette und alles ist rosarot.
Leev dr Moment, ne Augebleck
Denn dä kütt nie mieh zoröck
Für uns steiht de Welt hück still

Come on effzeh!

2 comments to Gladbach – FC: Hück steiht die Welt still

Haut rein, schreibt mir was!