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One Night in Turin

© New Black Films, 2010

Wenn ich an 1990, den azurblauen Traum vom “italienischen Sommer” zurückdenke, dann kommt ganz unwillkürlich irgendwann Gianna Nannini in mein Hirn geschlendert. Sie klopft an, tritt ein und trotz ihres etwas schludrigen Auftretens, der kratzbürstigen Stimme und dem unzweifelhaften Makel, dass ich kein Wort verstehe was sie sagt, bin ich sofort wieder verliebt. In “Un Estate Italiana”, in Rolf Kramer, Herbert Watterott und Gerd Rubenbauer, in Andreas Brehme und in die Erinnerungen an eine Nacht wie keine andere.

Nun ist ein Film erschienen (eigentlich schon im Mai -aber wir sind ja hier auf dem Festland, da dauert das eben) der die Weltmeisterschaft aus dem Blickwinkel der englischen Nationalmannschaft, ihres Trainers Bobby Robson und ihres Stars Paul Gascoigne nacherzählt.

Am Vorabend der Kommerzialisierung des Fußballs, vor SKY und der EPL, liegt der englische Fußball am Boden. Hooligans dominieren die Schlagzeilen. Seit der Euro 1988 tritt die Presse immer schärfer gegen Robson nach, die Mannschaft wird als ein Haufen Idioten dargestellt, die FA ist unfähig irgend eine Richtung vorzugeben und mit dem Bann von Europa ist alles nur noch trauriger. Er ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Der Thatcherismus liegt zwar in den letzten Zügen aber er ist immer noch Marktführer im Land. Mit dieser Ausgangssituation machen sich die “Three Lions” auf nach Sizilien um Geschichte zu schreiben.

Den Prolog kennen wir seit “Fever Pitch”, den Climax bekommen wir nun in Bildern gereicht.
Regisseur James Erskine kommt vom Fernsehen (u.a. Eastenders, Torchwood) und stellt damit schon das größte Problem des Films dar: Seine offensichtliche Angst einen “normalen” Doku-Film zu drehen. Er verwendet Cutscenes, die kein Mensch braucht. Zwischen den Original-Aufnahmen der BBC, die mit Kommentar unterlegt sind, streut er immer wieder sehr pathetisch wirkende, nachgestellte Szenen ein. Ein Haufen Füße, die Fußball spielen etwa. Oder wie in Zeitlupe der Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt wird. Das wirkt billig und nimmt den Original-Bilder viel Dynamik weg.

Schön sind die (mir) unbekannten Aufnahmen aus dem englischen Mannschaftsquartier, die kleinen Schnitte in das heimatliche TV-Programm und die, sehr clever dargestellte, Metamorphose Robsons vom meistgehassten Mann in England zum Idol. Leider versäumt Erskine den Bildern Nachhaltigkeit zu verleihen, indem er viel zu viel Pathos in den Kommentar (gesprochen von Gary Oldman) legt und die Protagonisten kaum für sich selbst sprechen läßt. Wenn das dann mal passiert, sind es immer nur Robson und Gascoigne und Gazza versteh ich nicht, weil ich weder in Newcastle geboren bin, noch mit Brown Ale gestillt wurde. Keine Chance. Aber egal, viel hat er eh nicht zu sagen. Leider vermisse ich Statements von den anderen Führungsspielern. Lineker, der sich zu einem eloquenten Host von Match of the Day gemausert hat oder Terry Butcher, David Platt, wie sie alle heißen. Sie kommen vor, spielen aber keine Rolle. Schade. Leider ist dieses Mißverhältnis von lanciertem Text und Originalzitaten schon in den ersten Minuten des Films augenscheinlich als Oldman den Satz sagt: “Every Story needs a Hero”, die Bilder mischen sich und aus dem Nebel erscheint Robson. Das ist mir ´ne Spur zu einfach, sorry.

Die Dramaturgie schreibt sich selbst, da konnte er nicht viel verwursten und so sehen wir noch einmal das Spiel. Den weinenden Gazza nachdem er seine zweite Gelbe kassiert hat, der nervöse Blick Linekers zur Seitenlinie, Chris Waddle und der Schuss ins Nichts.

Diese Weltmeisterschaft stellt für England einen Wendepunkt dar. Das ganze Land wurde von einem Fieber gepackt, das Halbfinale hatte die zweithöchsten Einschaltquoten der TV-Geschichte (nur getoppt von der Hochzeit Charles und Di), die klugen Leute in den Agenturen erkannten, dass man mit dem Spiel Geld verdienen konnte und sowohl für Gascoigne als auch für seine Kumpels aus dem Nordosten war es von nun an nicht mehr so einfach wie es früher war. Letztlich ist daran zerbrochen. Dass James Erskine mit seinen Abspannbildern deutlich Position einnimmt sei ihm verziehen, gut ist trotzdem was anderes.

Was bleibt? Eine Erinnerung, ein Fragment aus einer längst vergangenen Zeit. 20 Jahre sind ´ne Menge.
Ärgerliche Regie, eine etwas zu simpel vorgetragene Gesellschaftskritik und dennoch Bilder für die Ewigkeit.
Es ist schade, aber “One Night in Turin” ist Massenware, wenn auch für Spezialkunden.
★★½☆☆

Ach, vergessen: Positiv sei noch der Soundtrack erwähnt, der alles aufbietet, was Anfang der 90er Pop war.
“World in Motion” ist natürlich trotzdem nur fast so gut wie “Un Estate Italiana”…

1 comment to One Night in Turin

Haut rein, schreibt mir was!