Social Media:

Bremen – FC: The Rains of Osterdeich

Wir können uns jetzt stundenlang aufregen, tagelang wehklagen und die Nächte mit dem Zerbeissen von Tischplatten verbringen. Wir können uns Voodoo-Puppen kaufen und Dartpfeile werfen, wir können nach Ergolding fahren und uns schreiend auf die Käufelkofen-Strasse stellen. Wir können über die Ungerechtigkeit der Welt motzen, vor Wut platzen und uns schmollend in die Ecke setzen. Können wir alles machen. Allein, es nützt nix. Es wird nicht nachträglich Elfmeter gepfiffen, es wird sich am 1:1 nichts ändern. So ist das eben, so ist das Wesen des Spiels.

Ich persönlich hadere jedes Mal mit mir, ob ich denn einen Videoschiedsrichter haben will, oder eben nicht. Auf der einen Seite hätte es nach Videobeweis relativ sicher Elfmeter gegeben (ob der dann reingegangen wäre, steht ja nochmal auf einem anderen Blatt), andererseits hätte ich dann heute nicht mehr diese heilige Wut im Bauch und wüsste wahrscheinlich gar nichts mit mir anzufangen. Wir hätten so viel weniger zu diskutieren, uns würde ein essentieller Bestandteil des Spiels fehlen. Und tief in mir bin ich ja fussball-konservativ, will das alles so bleibt wie es ist, will mir an den Kopf fassen und mich ärgern und wie wild toben ob der Weltverschwörung gegen den effzeh. Natürlich will ich das. Liegt das nicht in der Natur eines Fußballfans? Bestehen wir nicht zu 80% aus Wut und Misanthropie? Sind wir nicht alle zu Fußballfans geworden weil es etwas aus uns macht, was man rational nicht erklären kann? Weil es nicht klinisch ist, weil es nicht durch-choreographiert ist? Weil es beeinflusst wird von Einzelpersonen und immer, wirklich immer, ungerecht ist? Heimlich wollen wir benachteiligt werden, wollen uns betrogen fühlen von Gott und der Welt, denn nur so können wir uns abgrenzen von der Welt da draußen. Gerade als Kinder, die wir zum Fußball gefunden haben, gab und gibt es noch heute, diese gewaltigen Unterschiede zwischen der echten, geborgenen Welt, die ansatzweise gerecht ist, die immer revidiert werden kann und dem irrationalen, wunderbaren Spiel, das abgepfiffen und vorbei ist. Das nicht mehr gutgemacht werden kann. Und das in uns brodelt, an uns nagt und uns bittere Tränen vergießen ließ. Und heute, als halbwegs erwachsener Mensch, ist es ja nicht viel anderes: Vielleicht weinen wir nicht mehr bei jeder spielentscheidender Fehlentscheidung gegen die eigene Mannschaft aber der Puls geht dennoch nach oben, die Augen blicken immer noch flehend in den Himmel und die Artikulationsfähigkeiten sind immer noch nicht sonderlich besser geworden. Verdammt nochmal.

So viel dazu. Wir müssen mit der Fehlentscheidung leben, es nützt ja nix. Es tut weh, es ist ungerecht, ja. Aber es ist der Fußball. Ich habe mir selbst geschworen, nicht mehr zu dieser mimimi-Fraktion zu gehören, der ich bis jetzt (ja, ich weiß) auch ab und an (eher öfter als weniger) angehört habe. Die sich über jede Fehlentscheidung gegen die eigene Mannschaft aufregt. Ich will -jedenfalls nach Außen- gelassener wirken. Natürlich brodelt es weiter in mir und ich werde auch nicht aufhören können das Schiedsrichterwesen -und seine absolute Verweigerungshaltung sich weiter zu entwickeln- zu kritisieren, wenn etwas so offensichtliches wie Gestern passiert aber ich will versuchen auch Fehlentscheidungen gegen uns als gottgegeben zu akzeptieren. Was Schiedsrichter-Podcasts aus einem machen können. Schlimm.

Dennoch ein kurzer Exkurs: Der Fußball ist nicht mehr der Fußball von 1950, 1970, 1990, ja nicht mal mehr der Fußball von 2010. Jedes Jahr wird das Spiel schneller, es werden Bälle entwickelt, die den Schnitt unberechenbar machen, es gibt Fußballschuhe, die bei der Weltraumforschung übrig geblieben sind, es gibt dreitausend Kameras bei jedem Spiel, es gibt Superzeitlupen und die Spieler werden auch von Saison zu Saison gerissener, lernen schon als Kinder wie man richtig fällt und scheinen mittlerweile auch von jedem Unrechtsbewusstsein befreit zu sein. Warum, gibt es bei den Schiedsrichtern auf dem Platz keine Anpassung, keine Entwicklung? Weil es immer so war? Ist das wirklich noch zeitgemäß? Unabhängig vom Videobeweis, dessen Einführung ja beschlossene Sache zu sein scheint, frage ich mich ob es nicht auf dem Platz eine Entwicklung geben könnte, die es sowohl den Schiedsrichtern leichter, als auch den Spielern schwerer machen würde. Das fängt damit an, dass ich mich frage ob man nicht zwei gleichberechtigte Spielleiter einsetzen könnte. Sie wissen schon: Vier Augen sehen mehr als zwei. Was spricht dagegen? Oder zwei extra Linienrichter für jeweils eine linke und rechte Hälfte? Es ist eben nicht mehr das stehende Spiel, mit dem Franz Beckenbauer Fußball des Jahrhunderts werden konnte, es werden 220, 230 km zusammen von beiden Mannschaften pro Spiel gelaufen, wie soll ein einzelner Schiedsrichter da immer alles und jeden im Auge behalten können? Weiterhin würde ich versuchen für Transparenz zu sorgen: Gebt dem Schiedsrichter ein Außenmikrophon wie beim Rugby, bei dem strittige Situationen direkt für den Stadionbesucher erklärt werden können. Das würde so viel Druck von den Unparteiischen nehmen. Und zu guter Letzt: Ich würde die individuellen Strafen für offensichtliche Betrüger drastisch erhöhen. Weg mit der heiligen Kuh der Tatsachenentscheidung, her mit den nachträglichen Sperren. Erfolgreiche Schwalbe im Strafraum gibt direkt zwei Spiele Sperre, bei spielentscheidender Beeinflussung (also durch den erfolgreichen Elfer Punkt geholt oder gewonnen) vier Spiele Sperre. Ratz-Fatz. Ich rede nicht von Grenzfällen, die immer noch auftauchen werden und man sollte im Zweifel auch immer pro Stürmer entscheiden aber bei klaren Dingern (Möller, Werner etc) sofort handeln. Vielleicht würde ja ein Umdenken einsetzen? Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert, finde ich.

Okay. Genug jetzt. Unentschieden in Bremen. Joa…

Das Spiel an sich hat mir unglaublich gut gefallen. Wenn man bedenkt mit welcher Truppe der effzeh antreten musste, wie viele Stammkräfte uns fehlten, wie mit purem Willen und Kampfgeist dieses Team spielt, mit welcher Souveränität teilweise aufgetreten wird, dann macht mir das -ergebnisunabhängig- einfach nur großen, großen Spaß. Wenn ich die spielerische Evolution des 1.FC Köln auch in diesem Jahr betrachte, dann kommt es mir immer noch unwirklich vor. Wer die Bewegungsabläufe eines Dominique Heintz analysiert und nicht ad hoc weiß, dass er ein Fußballprofi ist, würde wahrscheinlich nicht darauf kommen. Und dennoch ist er mittlerweile eine Stütze der Mannschaft, ein Vorbild an Einsatzwillen, mit unbändigem Glauben in die eigenen Fähigkeit, mit Mut und Kraft. Das ist bewegungs-therapeutisch nicht zu erklären.

Wer sich Yuya Osako anschaut und mit dem Osako vor anderthalb Jahren vergleicht, der wird sich verwundert die Augen reiben, ob seiner Bereitschaft sich aufzuopfern, den nächsten Schritt zu gehen. Technisch war er immer schon nicht der schlechteste aber mittlerweile hat er auch ein Auge für Mitspieler, lässt sich zurückfallen, wenn es gefordert wird, scheut keine Zweikämpfe mehr und wenn er jetzt noch ab und zu abschlusssicherer wird, wird er uns noch viel Spaß machen.

Schauen wir auf Frederik Sörensen und seien einmal ehrlich: Wer hätte dem schlacksigen Dänen zugetraut seine Rolle so befriedigend auszuführen, wie er es mit ganz wenigen Ausnahmen die ganze Saison über tut? Ich nicht. Für mich war er ein Notnagel, eine letzte Abwehr-Patrone, wenn sieben Mann am eigenen Strafraum platziert werden müssen. Nichts da. Er spielt grundsolide, nicht mal sonderlich unfair körperbetont, kann mittlerweile sogar ein, zwei schöne Pässe ins Spiel nach vorne einbringen und macht insgesamt deutlich mehr richtig als falsch.

Das sind jetzt nur drei exemplarische Beispiele, die man beliebig erweitern kann: Höger, Hector, Mavraj, nehmt wen ihr wollt, ich bin jede Woche neu verliebt in die Mannschaft.

Auch gestern hat der effzeh eigentlich nur Ergebnis-technisch enttäuscht, denn wenn man ehrlich ist, fühlt sich das Unentschieden wie eine Niederlage an. Ich spreche jetzt nicht von dem nicht-gegebenen Elfmeter, sondern von den vielen, vielen guten Gelegenheiten das Spiel selbst zu entscheiden. Rudnevs (wieder gutes Spiel btw) köpft dem Torwart in die Arme, Tony Modeste versucht auf biegen und brechen seine Torflaute zu durchbrechen und scheitert, Osako setzt den Ball um Zentimeter am Tor vorbei, Heintz scheitert an Drobny, ach es gab viele Chancen das zweite Tor zu machen.

Bremen war in der ersten Hälfte komplett überfordert mit dem Kölner Spiel, mit dem aggressiven gegen-den-Ball des effzeh, hatte kaum Luft, verlor gefühlt jeden Zweikampf und musste sich von Minute zu Minute hangeln. Der 1.FC Köln mit einem unglaublich souveränen Auftritt, der nur unterbrochen wird durch das Gegentor, das aus dem sprichwörtlichen Nichts fiel. Klar, war ein Torwartfehler, da gibt es nichts zu beschönigen aber es wird mir im Traum nicht einfallen auf Kessler zu schimpfen, denn spätestens mit der Parade im Derby, hat er bei mir noch drei, vier Klöpse gut. Kann passieren, Mund abputzen, weitermachen.

Aber ein bisschen motzen muss ich doch:

Mir gefällt Rausch nicht. Er ist auf links wirklich eine Bürde. Schon nach drei Minuten als er in der Bremer Hälfte zum dritten oder vierten Mal den Ball entweder verlor oder mit einem Risikopass seine Mitspieler so unter Druck setzte, dass eine anständige Verwertung nicht mehr möglich war, schrieb ich dies in die Whats-App-Selbsthilfegruppe. “Ist ja noch früh” kam als Antwort aber leider zog sich seine Leistung durch das ganze Spiel. Vor dem 1:1 z.B. gab es Einwurf drei Meter von der eigenen Torauslinie für uns. Rausch wirft den Ball unnötigerweise an einen sich gerade im Freilaufen befindlichen Tony Modeste, der diesen natürlich gar nicht annehmen konnte und der Ball ist weg. Das war so unnötig, ich wusste irgendwie direkt dass uns das in den Arsch beißen wird. Ernsthaft, mir war klar, dass da was passieren wird. Nun gut, machste nix.

Das ist es dann aber auch schon mit der Motzerei (abgesehen natürlich von der eigenen Chancenverwertung), denn in der zweiten Hälfte war das Spiel ausgeglichener, Werder hatte sich ein bisschen besser auf das Kölner Spiel eingestellt aber dennoch bin ich der Meinung, dass wir auch hier die stärkere Mannschaft waren, das Spiel eher kontrollierten als Werder und letztlich an uns selbst gescheitert sind. Das sind wir wieder bei dem Lernprozess, der hier im Blog ja Woche für Woche ein Thema ist. Wir müssen halt Geduld haben. Was Alexander Nouri in der Pressekonferenz mit dem Satz “Gefühlt war hier mehr drin” meinte, soll er mir mal erklären, ich meine wirklich, dass, wenn es einen verdienten Sieger hätte geben müssen, dass das der effzeh hätte sein müssen aber genug des Konjunktivs, das Spiel ist vorbei, es ist wie es ist.

24 Punkte auf dem Haben-Konto, noch zwei Spiele in der Hinrunde, 14 Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz, es ist immer noch alles gut aber natürlich erwische ich mich auch dabei zu hadern: Das last-minute-Gegentor gegen den BVB, jetzt die Fehlentscheidung in Bremen, wären vier Punkte mehr… wo war ich? Ach ja, ich hatte ja gesagt, dass es jetzt genug ist mit dem Konjunktiv.

Okay.

Mittwoch geht es gegen Leverkusen zu Hause. Der Höger-Ausfall tut unglaublich weh aber auch hier wird Peter Stöger wieder eine Lösung finden. Was soll uns passieren, uns gehört ja eh schon die Welt.

Come on effzeh!

1 comment to Bremen – FC: The Rains of Osterdeich

  • Burkhard

    Inzwischen haben wir auch schon Leverkusen hinter uns und was bleibt uns als Erkenntnis? Dass wir jetzt viele Sätze mit vielen Konjunktiven formulieren könnten (ups…passiert), aber wir nun mal noch nicht in der Lage sind so viele Ausfälle zu kompensieren. Wer ist das schon? Keiner außer den der kriminellen Truppe aus Bayern. Weiterhin bleibt zu sagen, dass wir nun 3x hintereinander eine Führung nicht nach Hause bringen, was schon schade und beunruhigend ist. Beunruhigend? Mitnichten! Hatten Leverkusen, Dortmung und Werder ein ähnliches Lazarett zu beklagen wie wir? NEIN! Was wäre passiert wenn wir alle Stammkräfte an Bord gehabt hätten? Würde dann auf dem Trainingsplatz wieder die CL-Hymne erklingen; dann aber ohne Kölsch? Alles ist gut. Wir hatten keine großen Probleme gegen Leverkusen und Dortmund. Wer hätte das vor zwei Jahren gedacht.
    Nun kommt Christian Clemens zurück und sagt, dass er bei einem Angebot vom FC nicht lange überlegen musste . Genau das hat er bei Schalke und Mainz auch gesagt, nur dass hier alle wegen dieser Aussage austicken. Fußballer sind eben alle gleich. Tut mir Leid das zu sagen, aber ich wollte ihn nicht zurück.
    Hohoho, frohes Fest, guten Rutsch an alle Kesselflicker und Mau-Mau-Spieler!
    Besinnliche Grüße,
    Burkhard

    sorry, dass ich nicht auf Bremen eingegangen bin. Hatte keinen Bock.

Haut rein, schreibt mir was!