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FC – Ingolstadt: Dräume

Eimol no Peking un eimol Hawai
Dann ens noh Sydney, für en Iwigkeit
Söke Jold en Alaska, drinke Wing en Bordeaux
Jon ze Fooss üver’t Wasser, bes Tokio

Mit ziemlicher Sicherheit wird Tommy Engel 1995 nicht an den 1.FC Köln gedacht haben, als er diese Zeilen für L.S.E. schrieb. Peking liegt ja auch gar nicht in Europa. Aber es passt ja dennoch. Gerade heute. Beim Blick auf die Tabelle kann ich doch als effzeh-Fan gar nicht anders als anfangen zu träumen. Nach Jahrzehnten des Darbens, der Nicht-enden-wollenden Demütigungen, nach Christian Dollberg und Lilian Laslandes, nach Latour, Overath, Hanutas und Liga-Spielen in Sandhausen, wie soll ich denn da ruhig bleiben, wenn ich auf diese Momentaufnahme blicke? Wie soll ich denn den Mahner geben? Nein, ich muss doch träumen, ich muss doch versuchen aus meinem eigenen zwangsneurotischen Gedankengefängnis auszubrechen und endlich wegzukommen von der Angst, dass alles den Bach runter geht. Es geht doch gar nicht anders, Herrgott.

Vor dem Spiel war es wie immer: Das ist der 1.FC Köln, es kommt der Tabellenvorletzte nach Müngersdorf, alles rechnet mit einem klaren Sieg, die Leistungen der letzten Wochen waren zu gut als dass man sich Gedanken über Punkteverluste machen sollte und ich sitze da und höre Stimmen aus einer anderen Galaxie, weit, weit entfernt: It’s a Trap! Admiral Ackbar lässt nicht locker. Er warnt und gestikuliert, er schürt die Panik und sorgt für einen trockenen Mund. Wir können dieses Spiel ja nur verlieren. Wir sind der 1.FC Köln. Wir werden einen Weg finden uns selbst in den Arsch zu treten. Auch mit Peter Stöger.

Wenn ich meinen Gemütszustand bei Anpfiff mit dem Anpfiff gegen Bayern erklärend vergleichen müsste, dann kann man sich das in etwa so vorstellen wie ein Urlaub am Strand (Bayern) gegen Scheisse schaufeln in der Hölle (Ingolstadt). Ich hatte so wenig Lust auf das Spiel. Nicht ursächlich wegen Ingolstadt (ein bisschen schon auch aber echt nur am Rande), sondern wegen der Konstellation. Nochmal: Wer kann denn damit rechnen, dass sich die Mannschaft einfach nicht um die historische Einbruchs- und Versager-Mentalität der letzten 25 Jahre kümmert? Dass sie einfach weitermachen? Dass es ihnen anscheinend egal ist? Vielleicht muss man dazu jünger sein? Vielleicht muss man seine effzeh-Seele noch nicht komplett in die Paint-it-Black-Ecke verschoben haben? Ich weiß es nicht.

“Morgen können wir beide überholen” schrieb Freund Christoph am Freitagabend in unsere WA-Selbsthilfegruppe, nachdem Dortmund und Berlin sich unentschieden trennten. Entrüstete Antworten, dass er doch bitte die Klappe halten soll, waren die Antwort. Wie kann man denn auf die Idee kommen, dass der effzeh die Vorlage der Konkurrenz nutzt? Du warst doch selbst dabei, in Essen, in Offenbach, in Bremen… Du weißt doch wie es kommt. Anscheinend ist Christoph ruhiger, weiser und schlicht nicht so verdammt pessimistisch wie ich.
Samstag saß ich zu Hause (Arbeit, Arbeit, Arbeit) und schaute ab und an auf Twitter und WhatsApp nach, wie denn die Stimmung ist. Irgendwie kam ich mir vor wie die Frauen, die ihre Männer in die Schlacht verabschiedet haben: Da gehen sie also, voller Stolz und Hoffnung und am Ende bleibt nur Bitterkeit.

Nein, ich wusste -tief in mir- dass es nicht passieren wird. Und es war okay. Ich hatte meinen Frieden mit der anstehenden Niederlage gemacht. Der Saisonstart ist ja dennoch überragend, wer hätte es denn gedacht, dass der effzeh so aus den Startlöchern kommt? Ich hatte sogar schon einen Überschrift für den Blog: “Es ist nicht alles Gol was glänzt”. Ich war ein bisschen stolz. Sicher, unausgesprochen bleibt da die Resthoffnung, dass der effzeh es vielleicht schafft mich nochmal zu überraschen aber das ist eher so ein Selbstbetrug, wie das dicke Kind dass sich die Cola light zum Big Mac mit Pommes und Mayo bestellt.

So saß ich also auf der Couch und horchte den weisen Worten von Marcus Lindemann. Zum Glück hatte ich schon zwei Liter Kaffee intus, so dass ich nicht auf der Stelle einschlief und die ersten zehn Minuten, in denen der effzeh mehr Ballbesitz hatte als in den letzten zwei Spielzeiten zusammen, einigermaßen ruhig und mit der Gelassenheit eines Pandabären (der immerhin auch weiß, dass er als Spezies am Arsch ist, sich das aber unter keinen Umständen anmerken lassen will) verfolgte. Ingolstadt stand tief, was in etwas so überraschend kam wie ein Regenschauer in Köln aber der 1.FC Köln machte das schon ganz gut. Der Ball lief flüssig, es wurden die Seiten gewechselt, man versuchte über die linke Seite Druck aufzubauen und irgendwie zum Abschluss zu kommen. Es fühlte sich an wie ein Zweitliga-Spiel unserer Mannschaft. Aber weder den Schanzern noch dem effzeh ist daraus ein Strick zu drehen, denn dass Kauczinski erstmal auf hinten-sicher-stehen-Ergebnisfußball spielen lässt ist verständlich und nachvollziehbar und dass Peter Stöger nicht von der ersten Minute an Hallodri-Hundert-Tore in die Taktik implementiert hat, dürfte auch klar gewesen sein. Es entwickelte sich also ein Geduldsspiel.

Immer noch sitze ich da und bin überzeugt dass irgendwer gleich patzt und Ingolstadt einen Konter zur Führung abschließt und danach mit elf Mann im eigenen Strafraum steht. Es lässt nicht los. Da kommt Dominique Heintz angerauscht und sieht aus als wäre er einem Sport-Goofy-Comic entlaufen. Die Arme schlackern, die weiten Schritte, die jede Sekunde einen Stolperer andeuten. Doch nichts passiert. Heintz klärt souverän und mit Übersicht, passt überlegt in die Mitte zu Lehmann, der neu aufbauen und das Spiel sortieren kann. Heintz lässt sich wieder etwas fallen (wahrscheinlich hat er ein “muah muah” in sich hineingegluckst), das Spiel geht unaufgeregt weiter.

Plötzlich und ohne Ansatz schrecke ich hoch. Lindemann eskaliert. Modeste hat den Ball in die Spitze gespielt bekommen, die Fahne des Linienrichters bleibt unten, er schießt und trifft. Aber Moment mal, das war doch Abseits. In Realgeschwindigkeit sah es so aus, als sei Modeste schon am Bistro auf der Aachener Strasse gestanden, als der Ball kam. Huch, da haben wir aber Glück gehabt. Gut, in der Zeitlupe sieht man dann, dass es etwas knapper war aber dennoch Glück, war Abseits.

Über mangelndes Fortune dürfen wir uns im Laufe des Spiel eh nicht beklagen. Dem Elfmeter für Osako (souveränst verwandelt von Modeste, muss man ja auch mal sagen) ging anscheinend eine Berührung des Balls mit dem japanischen Oberarm voraus auch wenn ich das immer noch nicht sehe. Ich hab mir die Zeitlupe bestimmt zehn Mal angeschaut und für mich kommt der Ball in dem Moment mit Osako in Berührung als dieser sich in Levels…

Exkurs: Dass Tobias Levels und Marvin Matip Bundesliga spielen ist für mich immer wieder ein Wunder. Es fühlt sich nach einer Disney/Pixar Story an, wo ein kleiner trauriger Geschirrspüler unbedingt Profi werden will aber aufgrund seines klapprigen Innenlebens von den anderen Küchengeräten (der Toaster, der Asi!) ausgelacht wird. Aber trotz aller Limitierungen, mit Herz, Leidenschaft und einer weisen alten Dunstabzugshaube als Mentor schafft er es dennoch in das Team. Das ist für mich Tobias Levels.

…reindreht und versucht den Ball mitzunehmen. Der kommt dann irgendwo im Bereich Schulter, Brust, Oberarm an aber ich sehe da kein Handspiel. Und da der Schiedsrichter dies genauso sah wie ich, beanspruche ich jetzt einfach mal, dass ich Recht habe. Basta. 2:0 für den 1.FC Köln und ich beginne wirklich, wirklich aufgeregt zu werden. Was würde passieren, wenn das wirklich passiert? Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott. Wir wären nach sieben Spieltagen mit 15 Punkten Zweiter in der Liga. Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott.

Ruhig. Noch sind 45 Minuten zu spielen, wir haben schon alles erlebt. Wisst ihr noch damals gegen…

Ja, damals. Ist noch gar nicht so lange her. Oder doch? Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit dass wir uns Woche für Woche über Stümpereien auf und neben dem Platz aufgeregt haben, denn es passiert kein Einbruch. Der effzeh spielt auch in der zweiten Halbzeit sehr souverän, hat in der Person von Tony Modeste Chancen auf das dritte, vierte und fünfte Tor aber die Voodoo-Künste von Andreas, der aus purem Neid und Mißgunst Modeste keine Tore mehr gönnt, verhindern eine komfortablere Führung. Schade.

So müssen wir nochmal zittern als es in der 90. Minute einen berechtigen Elfer für den FCI gibt (nachdem ihnen 20 Minuten vorher schon ein ziemlich klarer Elfer verweigert wurde) und es die letzten drei Minuten nur noch 2:1 steht.

Ich sitze schon lange nicht mehr, sondern tigere in einem Meter Abstand vor dem Fernseher auf und ab.

Pfeif bitte. Pfeif jetzt bitte ab. Wenn wir das jetzt noch verkacken, dann war alles umsonst, da waren 90 Minuten für die Katz, denn endlich hast du mich da, wo du mich hinhaben willst, effzeh: Ich glaube an Dich. Und jetzt, wo ich es endlich drin zu haben scheine, da willst du mir von hinten das Messer in den Rücken rammen? Wie kannst du nur so grausam sein?

Warum pfeift der denn nicht ab? Und jetzt auch noch Freistoß für Ingolstadt, 2:30 Min. der Nachspielzeit sind rum, da wird der Ball abgefangen und Rudnevs ist frei durch, er muss ihn nur… oh… Rudnevs tritt in den Rasen als wolle er im schottischen Hochland einen Torfbrocken ernten. Na gut. Dann eben nicht.

Einen Wimpernschlag später pfeift Tobias Welz tatsächlich ab und ich sacke auf die Couch. Mein Herz schlägt im Hals, der 1.FC Köln hat gerade am siebten Spieltag den FC Ingolstadt bezwungen. Ich kann dieses Gefühl tatsächlich mit nichts anderem vergleichen. Diese Mischung aus Erleichterung, Glück, Freude, Vorfreude, Unglaube und Träumerei, ich kenne keinen Vergleichswert. Das ist immer noch der Fußball. Und an diesem bin ich nie satt, wenn er denn vom 1.FC Köln gespielt wird. Es ist wie die Rückkehr einer alten Liebe, die man zufällig auf der Strasse sieht. “Hey, gut siehst Du aus, immer noch, nach all den Jahren. Wollen wir nicht mal nen Kaffee trinken gehen?” Und ehe man sich versieht steht deine Zahnbürste in ihrem Bad und alles ist gut. Das ist der effzeh im Herbst 2016.

Und all die Miesepeter da draußen, die uns jetzt wieder an den Karren pinkeln wollen, weil wir so verliebt in diese Mannschaft sind, weil wir so sehnsüchtig auf diese Zeit gewartet haben, weil wir von Baku reden und von Mailand und von Madrid, die jetzt wieder vom “kölschen Größenwahn” anfangen: Sucht euch doch mal ein anderes Hobby. Jeder effzeh-Fan kann einschätzen was hier gerade passiert. Ja, es ist eine Momentaufnahme, ja wir werden höchstwahrscheinlich am Ende nicht mit der Meisterschale durch Europa reisen, wohlmöglich und gar nicht unwahrscheinlich ist es eher, dass wir mit den internationalen Plätzen am Ende gar nichts mehr zu tun haben werden. Alles okay. Aber wie das in Köln so ist, wir leben immer im Hier und Jetzt, die Vergangenheit ist nur eine Geschichte entfernt und die Zukunft ist immer rosig. Aber gelebt wird jetzt und das Jetzt ist gut. Und wer, wenn nicht wir hat sich das verdient?

Nach Baku sind es 4102 km. Über Über Magdeburg, Posen, Lodz, Lublin, Kiew, Poltawa, Donezk, Rostow am Don, Georgijewsk, Soldatskaya, Machatschkala biste ratzfatz da. Kein Ding.

Jröss mer Hamburg an d’r Elbe un die Junge en Sing Sing
Ich schriev’ d’r en Posskaat no Kölle am Rhing
Versök nit mich ze finge, ben für immer verreis
Scheck ene Breef an die Stäne, do kumm ich manchmol vorbei

Come on effzeh!

3 comments to FC – Ingolstadt: Dräume

  • Björn

    Man darf ja wohl noch träumen und den Moment genießen. Das ist ja das geilste am Fan-Sein. Und wenn man es richtig einordnen kann, dann darf man auch schon das Hotel in Madrid buchen.
    Um es mit Peter Stöger zu sagen: “Ich kann denen ja nicht verbieten ne Pappschale mitzubringen”

  • Max

    Danke für den Post. Ich hab mal wieder Tränen gelacht.
    Und eines muss ich gestehen – je länger dieser Siegesrausch anhält, desto mehr Panik bekomme ich vor derart ersten Saisonniederlage. Irgendwie konnte ich da letzte Saison entspannter sein.

  • Dennis

    Super geschrieben, vielen Dank! Die Beschreibung deines Verhaltens in der Schlussphase des Spiels trifft 1 zu 1 auf mich zu. Dazu immer das ungläubige “welche Mannschaft spielt da im Trikot des effzeh” während des Spiels im Hinterkopf. Ich bin gespannt, was die Saison noch für uns bereit hält.
    Bei dem “Handspiel” bin ich übrigens voll bei dir, ich sehe da die Schulter im Einsatz-auch nach gefühlt 1000 Super-Slo-Mos.

Haut rein, schreibt mir was!