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FC – Stuttgart: Junimond

Am Ende, nach 94 Minuten, fragst du dich, in welchem Film du heute denn schon wieder gewesen bist. Das Spiel gegen den VfB könnte eine Blaupause der Saison sein. Alles, was bei uns schief gelaufen ist und auch weiterhin schief läuft, ist in diesem Sonntag-Nachmittag komprimiert. Sportliche Tiefschläge, eigene Dummheit, Nebenkriegsschauplätze aus der hintersten Ecke der Idiotenhölle, Videobeweise und ein klitzekleines bisschen Pech. Das muss man gut umrühren, über Nacht im Kühlschrank stehen lassen und am nächsten Morgen steigt man ab.

Der FC startet einigermaßen frech und zielorientiert in das Spiel, das 1:0 fällt früh, danach werden immer wieder große Lücken in der Stuttgarter Hintermannschaft herausgespielt, die mit einem vorgezogenen Badstuber und fahrigen, fehleranfälligen Außenverteidigern in den ersten 30 Minuten kaum in der Lage sind, den FC zu verteidigen. Der bärenstarke Koziello im Zentrum leitet Angriff über Angriff ein, verteilt die Bälle mit gutem Auge und viel Geschick an den vor ihm positionierten Osako oder direkt nach Außen auf Risse respektive Hector, von wo aus dann der Ball den Weg Richtung letzte 20 Meter findet und… leider versandet. Es war, nein, es ist immer noch zum verrückt werden. Der VfB spielt so schlecht wie keine andere Mannschaft vor ihm in Müngersdorf aber wir schaffen es nicht diese Fehler zu nutzen. Das 2:0 wird zurecht zurück gepfiffen, darüber dürfen wir uns nicht ärgern. Worüber wir uns ärgern müssen, ist, dass es nicht gelang mehr als diese eine klare Chance zu kreieren. Wenn du so viel Raum hast, wenn der Gegner offensichtlich noch gar nicht im Spiel ist, dann musst du den Sack schon nach 25 Minuten so fest zugeschnürt haben, dass da keine Luft mehr raus kommt. Letzte Woche profitierten wir von den unzureichenden Schnürfähigkeiten des Gegners, diese Woche gucken wir dumm aus der Wäsche, weil es umgekehrt passiert ist. Das ist mit ‘frustrierend’ noch sehr milde umschrieben.

Mir fehlt die Energie jetzt einen Spielbericht zu schreiben, jeder hat gesehen, was passiert ist. Vielleicht rächt sich das Universum für seine letztjährige Nachlässigkeit? Es ist zu billig jetzt auf Timo Horn drauf zu schlagen oder die Wände anzuschreien wie ungerecht doch alles ist. Letztlich ist Fußball ein Spiel das durch wenige Aktionen entschieden wird. Es ist eben kein Handball oder Basketball wo Fehler und daraus resultierende Gegenpunkt leicht wieder gut zu machen sind. Das Tor ist ein seltenes Ereignis. Im Fußball dreht sich dadurch das Spiel, im Fußball kann die schlechtere Mannschaft immer gewinnen, wenn die Götter es wollen.

Es ist zum davonlaufen.

Natürlich hat sich die Mannschaft auch in der zweiten Hälfte nicht wirklich aufgegeben aber wenn wir uns anschauen, wie sich die Körpersprache verändert hat, wie zittrig die ersten Minuten nach Wieder-Anpfiff waren, wie unnötig auch der dritte Gegentreffer war, da muss man schon von Wirkungstreffern reden. Irgendwann müssen wir realisieren, dass alle Anstrengung vergebens war, dass es einfach nicht sein soll und dass der Kampf um den Klassenerhalt am Ende dann doch einer gegen Windmühlen sein wird.

Am Ende, nach 94 Minuten, fragst du dich, in welchem Film du heute denn schon wieder gewesen bist. Jonas Hector und Timo Horn liegen weinend auf dem Boden, das Stadion leer sich schnell, allerdings nicht ohne vorher der Mannschaft einen anständigen Empfang in der Südkurve zu bereiten. Es gab keine Pfiffe, keine Pöbeleien, es hatte etwas von: Jungs, wir wissen es, ihr wisst es, nächstes Jahr machen wir es zusammen wieder gut. Es war fast ein Zen-Moment, in der größt möglichen Frustration.

Der FC verliert also gegen den VfB Stuttgart, der damit das nächste Jahr Bundesliga ziemlich sicher buchen kann, und hat wieder einen Punkt auf den Relegationsplatz verloren. Acht sind es diese Woche. Ist immer noch aufzuholen, ja, ich weiß. Dennoch sind solche Spiele wie gestern eigentlich die Spiele, über die wir am Ende der Saison, wenn wir wieder mal ungläubig auf die Tabelle schauen werden, diskutieren werden: Mann, hätten wir gegen Freiburg gewonnen, hätten wir gegen Stuttgart gewonnen, hätte de Blasis auch nur einen Funken Ehre im Leib… das werden die Diskussionen sein, im Mai.

Es ist wie es ist.

Neben dem sportlichen Misserfolg sorgte gestern (wieder mal) die Fansezene in Köln für helle Aufregung in den sozialen Medien. Man konnte über die SKY-Außenmikrophone in der zweiten Halbzeit sehr gut einen Pöbler hören, der ohne Unterlass in Richtung Ron-Robert Zieler krakelte. „Zieler, warum bringst du dich nicht um?“ oder „Deine Mutter ist mit Enke verwandt“ wurden da neben dem “Hurensohn” und “Deine Mutter fickt alles” bundesweit übertragen und sorgten (nicht nur) bei mir für gehöriges Fremdschämen. Gestern war ich noch nicht sicher, dass es wirklich jemand auf dem Zaun war, heute weiß ich es besser. Es ist so unnötig, so blöd. Und es macht müde. Das Unglück der Welt, der Untergang des Fußballs geht sicher nicht von einem einzelnen, fehlgeleiteten Ultra auf einem Zaun in Köln-Müngersdorf aus, aber gerade jetzt, wo sich auch außerhalb der aktiven Fanszene immer mehr Leute gegen die Repressionen des Vereins und der Liga stellen, wo aber auf der anderen Seite auf jede noch so kleine Verfehlung gewartet wird, ist es einfach bescheuert sich mit diesen Sprüchen wieder ins Abseits zu schießen. Natürlich schreibt der EXPRESS darüber, damit es auch jeder mitbekommt. Natürlich wird das in das kleine, schwarze Buch des 1.FC Köln eingetragen und natürlich wird das auch Wasser auf die Mühlen derjenigen sein, die ein härteres Vorgehen gegen Ultras fordern. Das Schlimme ist: Es gibt keine Gegenargumente. Ja, vielleicht sind solche Sprüche in allen Stadien an der Tagesordnung und niemand regt sich darüber auf, weil sie niemand mitbekommen hat aber in Köln war nun mal das Mikrophon an, es wurde übertragen. Es gibt darüber schlicht nichts zu diskutieren. Wenn ich mit 170 über die Ringe brettere und dabei von der Polizei erwischt werde, kann ich ja auch nicht argumentieren, dass gestern einer mit 150 die Lux runter gebrettert ist und dem ist nix passiert. Die Sprüchen waren bescheuert und dumm, sie lassen jeden Anstand vermissen. Wenn eine ganze Kurve “Arschloch, Wichser, Hurensohn” schreit, dann ist das eigentlich schon traurig genug aber Folklore. Geflucht und beschimpft wurde im Fußball schon immer, der Sport kann seine Wurzeln nie verraten aber die Sprüche gestern hatten eine andere Qualität. Ich kann auch nicht alles mit “Emotionen” erklären. Scheiße, ich bin auch emotional und dennoch würde mir nicht einfallen Zieler zum Selbstmord aufzufordern. Das gibt es doch nicht.

So passt dann alles zusammen an diesem deprimierenden Nachmittag. Nächste Woche gibt es ein Montagsspiel. In Bremen. Wegen Europapokal, sie wissen schon…

4 comments to FC – Stuttgart: Junimond

  • Marion

    Da hast du mir aus der Seele geschrieben!

  • K.H.

    Axel ich hab gerade Gänsehaut und ein kleines Tränchen verdrückt.

    Gestern hat mir wirklich den Rest gegeben, das waren für mich doe beeindruckendsten 40Minuten im ganzen Jahr und gerade deswegen schmerzt es so sehr, weil die Mannschaft dazu in der Lage wäre, dass unmögliche möglich zu machen .

    Es macht es zwar nicht besser, aber ich weiß das es nicht nur mir so geht und das ist für uns alle ein Trost, auch wenn nur ein schwacher.

  • Malzi

    Tja, habe immer noch schlechte Laune wegen des Spiels. Immer, wenn der FC den großen Schritt Richtung Wunder schaffen kann – BÄM. Aber das ist eben unser Effzeh.

    Aber: schön, dass Du wieder einen Spielbericht geschrieben hast… Danke!

  • Dennis

    Vielen Dank für den Text!
    Ich merke in dieser Saison, dass ich resigniert habe. Niederlagen schmerzen-klar, aber so fertig wie in vergangenen Spielzeiten machen sie mich nicht mehr. Ob das gut ist oder nicht sei mal dahingestellt

Haut rein, schreibt mir was!