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Die 111 Tage Bilanz

In der Politik gibt man der neuen Regierung 100 Tage Zeit, bis es zu einer ersten Zwischenbilanz kommt. Für Köln ist die 100 natürlich nur ‘ne schnöde Zahl, wir machen schließlich nix ohne irgendeinen "jecken" Hintergrund. Also: Ståle Solbakken ist seit dem 01.Juli unser Trainer, das sind jetzt genau 111 Tage. Jetzt dürfen wir uns auch mal an einem Zwischenzeugnis versuchen. Let’s roll:

Der Beginn:
Solbakken tritt von Anfang an sympathisch auf, er lernt deutsch und vermittelt eine positive Grundstimmung. Spätestens am 20.07. ist es aber mit der Aufbruchstimmung in Köln vorbei, denn der EXPRESS hat sein Sommerloch-Kit gefunden und macht schon vor dem ersten Saisonspiel schwer Stimmung gegen den Trainer, der sich nicht eindeutig zu Lukas Podolski als Kapitän bekennt. Der Norweger begründet seine Entscheidung pro Geromel und contra Podolski mit der stetigen Belastung, der er als alleiniger Schutzheiliger des Rhein-Erft-Kreises, kölschem Superstar, Nationalsspieler, REWE-Toastbrot-Werbegesicht, Modemacher und Frontface von FIFA12 ausgesetzt ist. Bei FACEBOOK geht die Welt unter, der Pöbel schreit sich die Seele aus dem Leib und ich konnte gar nicht so viel fressen wie ich kotzen wollte. Das war typisch kölsch: Ohne Sinn und Verstand und ohne ernsthafte Reflexion wird angeheizt. Solbakken wird sich gewundert haben.

Nach einem klaren Sieg im DFB-Pokal kommt am ersten Spieltag der VfL Wolfsburg zum Start in die Domstadt. Die Mannschaft spielt völlig verunsichert, steht falsch, hat große Probleme das neue System des Trainers umzusetzen. Zudem muss mit Kevin Pezzoni ein Spieler in der Innenverteidigung spielen, der dort nichts aber auch gar nichts zu suchen hat. Der Trainer gesteht nach dem Spiel, dass er dachte, dass seine Spieler nicht derartige Probleme mit einer Systemanpassung haben würden. Ein kleines Understatement.
Nach der Heimpleite folgt ein erstes Auswärtsdebakel in Schalke auch wenn ich auch heute noch der Meinung bin, dass das Spiel niemals ohne den geschenkten Elfer so derart gekippt wäre. Man erkennt erste Ansätze der Solbakkschen Spielidee, kann die beiden Ketten erkennen. In Köln bricht Panik aus und ich versuche einen völlig aufgebrachten Freund am Telefon zu beruhigen. Alles wird gut! Er hört mich nicht.

In der Bundesliga angekommen:
Der Druck vor dem Spiel gegen Lautern war enorm und wir holen zumindest den ersten Punkt, was gegen die Pfälzer ja schon selten genug ist. Der vielleicht wichtigste Sieg der letzten 20 Jahre kam am nächsten Spieltag beim HSV. Glücklich, unverdient aber erkennbar bemüht holt der FC seine ersten drei Punkte unter Solbakken. Es folgt der obligatorischen Rückschlag zu Hause gegen den Glubb, doch in jedem Spiel ist eine Entwicklung zu sehen. Auch hier scheitert das System an den individuellen Schwächen einzelner Spieler.
Nach dem grandiosen Sieg in Leverkusen und dem souveränen Heimspiel gegen Hoffenheim scheint sich das Gerüst der Mannschaft im Kopf des Trainers gefunden zu haben. Schlechte Spiele können passieren, wichtig ist, dass sie zur Ausnahme werden, siehe Berlin und Hannover.
Heute scheint Solbakken mit seiner Philisophie in der Bundesliga und bei der Mannschaft angekommen zu sein.

Das "System":
Im Gegensatz zu den letzten Trainer hat Solbakken ein klares Verständnis, wie er Fußball sehen möchte. Daum schien völlig ohne Taktik zu spielen, Soldo hat der Mannschaft jedes Selbstvertrauen genomenn, weil nur destruktiv gegen den Mann gespielt wurde, Schaefer erreichte seine Spieler eher über individuelle Freiheiten und Finke stauchte zur rechten Zeit ein wenig Disziplin in die Truppe. Solbakken ist auf den ersten Blick nicht hundertprozentig ergebnisorientiert. Er will Entwicklungen sehen, er will Automatismen entwicklen, die es über die Saison einfacher machen. Natürlich ist das alles noch nicht vollständig ausjustiert aber man sieht ganz deutlich wo die Reise hingehen soll.

Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Heim- und Auswärtsspielen: Zu Hause rückt die Viererkette teilweise bis an die Mittellinie, es wird versucht die Räume sehr eng zu machen, so dass sich das gegnerische Aufbauspiel auf 20 – 25 Meter abspielen muss. Auswärts steht der FC tiefer, die Außenbahnen lassen sich zurück fallen um schnelle Konter fahren zu können. Man versucht also nicht so sehr das Spiel des Gegeners zu unterdrücken, sondern verlässt sich eher auf das eigenen Stellungsspiel. Bis auf Leverkusen ist das bisher noch nicht wirklich erfolgreich gewesen, was aber natürlich auch der Tatsache geschuldet ist, dass in jedem Spiel eine neue Defensive spielen muss, denn das Verletzungspech ist dieses Jahr übelst. Dennoch: Man kann ganz klare Entwicklungen erkennen, man sieht, dass die Mannschaft auch psychologisch viel gefestigter scheint, als in den letzten Jahren, denn auch nach Gegentreffern ist die Körpersprache mittlerweile eine ganz andere.

Im Mittelfeld wird mit einer richtigen Doppel-Sechs gespielt. Nachdem Riether die Saison eher träge begann, scheint er mit Jajalo genau den richtigen Partner an seiner Seite gefunden zu haben. Peszko auf links und Chihi auf halbrechts sind Läufer, die für die beiden immer der erste Anspielpartner sind. Auch hier sieht man die enorme Entwicklung. Standen sich letztes Jahr mit Matuschyk, Petit, Lanig und Jajalo die "Sechser" praktisch auf den Füßen ohne eine Option nach Vorne zu haben, ist nun eine Raute auf dem Platz, die mit zwei, drei schnellen Pässen zwanzig, dreißig Meter gut macht. Auch hier gilt: Auswärts eher zurück gezogen und mit mehr Drang nach Außen, zu Hause weiter obend stehend mit Zug spielend. Das ist alles so viel besser als in den letzten Jahren, wer das nichts sieht, dem kann ich nicht mehr helfen.

Vorne spielen "wir" im Idealfall mit Novakovic als Spitze und Podolski als hängender Zwitter zwischen "Neun" und "Zehn". Hier sehe ich noch den größten Nachholbedarf für die sportliche Leitung, denn, wenn, wie letzte Woche Nova ausfällt, haben wir keinen großen Ersatz in der Hinterhand. Weder Freis noch Clemens scheinen den Trainer zu überzeugen. Ich tippe mal, dass hier im Winter noch nachgebessert wird.

Die Stimmung:
Nach dem 2:0 gegen Hannover lief Podolski schnurstraks auf den Trainer zu, herzte die Pläät und schaffte so ein allzu seltenes Bild der Eintracht in Köln. Man hört aus der Mannschaft keinen schlechten Satz über den Trainer, man hört nur wie viel Spaß es macht unter dem Mann zu arbeiten und mittlerweile scheint sogar die Presse mit dem Nordmann warm zu werden. Zum Glück sind die ganzen Spezialexperten, die vor der Saison den Trainer als erste Entlassung quasi sicher wussten zur Zeit verstummt, ich wünsche nur ich hätte damals einen Screenshot von der FC-Seite bei FACEBOOK gemacht, nur dem den ganzen Spinnern das heute unter die Nase reiben zu können.

Fazit:
Alles, wirklich alles, was ich mir erhofft habe sehe ich am 9. Spieltag als erfüllt an. Ich hatte eigentlich sogar mit einem viel längeren Anlauf gerechnet. Wenn uns nicht noch mehr Verletzungen aus der Bahn werfen, werden wir zum Ende der Hinrunde die 20 Punkte mindestens in der Tasche haben, davon bin ich überzeugt. Unabhängig von reinen Ergebnissen ist es aber so unglaublich befriedigend zu sehen, dass auch in Köln eine Entwicklung zu sehen ist, dass sich auch hier die Uhren weiterdrehen.

Solbakken macht Mut, Spaß und Hoffnung. All das, was mir vor Jahresfrist nicht unbedingt zum 1.FC Köln eingefallen wäre. Das wäre dann eine 1 mit Sternchen, nach 111 Tagen in Köln. So kann es weitergehen, bitte.

2 comments to Die 111 Tage Bilanz

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