In der 88. Minute bebt Müngersdorf als hätte der glorreiche 1.FC Köln just in diesem Moment Atalanta Bergamo aus dem UEFA-Pokal geschossen. Toni Ujah reißt sich das Laibchen vom Astralkörper, stolpert wie ein kopfloses Huhn durch das Schnee-Regen-Gestöber und irgendwo 25 Meter weiter hinten rennt Holger Stanislawski wie ein verzweifelter russischer Flugeinweiser übers
FlugSpielfeld und wirbelt wie ein Derwisch seine Mütze durch die kalte Kölner Nacht. 2:1 gegen den Spitzenreiter aus Braunschweig, ein absurdes Tor kassiert, ein noch Absurderes selbst geschossen, Horn hält einen Elfmeter und das alles unter Flutlicht. Wie rasend sind die Erinnerung an spektakuläre Spiele, an die “gute alte Zeit”. Auf einmal war wieder dieses Gefühl da: Egal wie sehr uns dieser Verein quält, es sind Momente wie diese, die alles wettmachten, die uns Auftritte gegen Sandhausen oder Aalen oder ganze Spielzeiten einfach vergessen machen. Die nicht mit Ratio beschrieben werden können, sondern einfach ein Fandasein definieren. Ein geiles Gefühl!
Leider werden wir nur drei Minuten später wieder daran erinnert, dass der FC im Herzen immer ein Filou sein wird, und auf das Gefühl der Weltherrschaft folgt ein ungläubiger, verdammt langer Moment des Realitätseinbruchs. Herrgott nochmal, effzeh. Drei Minuten! Drei verfluchte Minuten!
Durch den verletzungsbedingten Ausfall von Adil Chihi stellt Trainer Stanislaswki um. Mikael Ishak bekommt die Chance neben Ujah, Bröker und Clemens teilen sich den Chihischen Bewegungsradius und Jajalo erhält wieder die Gelegenheit den Spielaufbau zu lenken. Mir hat die positive Ausrichtung sehr gefallen. Das Spiel nach vorne war immer engagiert, war immer mit Zug auch wenn die letzte Konsequenz nicht immer da war. Manchmal war noch ein Schnörkel zu viel da, ein anderes Mal fehlte die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor und ein paar Male wurde einfach zu viel gewollt. Das machte sich dann in zu weite vorgelegten Bällen und dem Versuch mit dem Kopf durch die Wand zu sprinten bemerkbar. Aber insgesamt war das schon okay. Man dominierte das Spiel in allen Statistiken, der BTSV war permanent in der Defensive beschäftigt.
Die größten Sorgen mache ich mir um unsere Innenverteidigung, die leider nicht immer wettbewerbsreif auftritt. McKenna (so gern ich ihn habe) ist schlicht zu langsam, Maroh hat zwar ein anständiges Stellungsspiel aber leider ist er auch kein Usain Bolt und er scheint manchmal etwas fahrig an die Aufgaben heranzugehen. Dazu kam, dass Hector gestern nicht seinen besten Tag hatte und Brecko in der Rückwärtsbewegung fast beschäftigungslos war. Solche Tore wie das 0:1 oder der dumme Elfmeter sind dann am Ende nichts anderes als ein Missmatch im 1 gegen 1. Dazu kommt die enorme Effektivität der Braunschweiger und das hat dann leider schon gereicht.
Natürlich trifft der Braunschweiger den Ball im Leben nicht nochmal so, wie vor dem Führungstreffen aber um fair zu bleiben ist der Ausgleich durch Clemens natürlich auch eher ein Freak-Tor, das so nicht nochmal fallen wird. Sei es drum. Nach dem Führungstreffer von Ujah müssen wir die Ruhe auf den Platz bringen das Ding nach Hause fahren und glücklich Richtung Sandhausen blicken. Dass es doch nichts mit dem „Dreier“ wurde ist dann eine Blaupause der Saison: Eine Verkettung von blöden Umständen wird vom Gegner eiskalt bestraft. Anstatt den Ball wegzudreschen, versucht die Mannschaft eine spielerische Lösung mit zwei, drei Kurzpässen 25 Meter vor dem eigenen Tor. Ein kleiner Stockfehler, eine unnötige Ecke, McKenna verweigert einen klärenden Kopfball und Bröker parkt eine Schuhgröße zu weit im eigenen Strafraum, so dass ihm der Ball auf den Latschen fällt und Feierabend.
“So ist Fußball” wird Stanislawski nach dem Spiel sagen und natürlich hat er Recht damit aber: Leute, Leute. Kann der Fußball nicht auch mal aufhören Fußball zu sein und mich einfach mal in Ruhe lassen? Herrjeh.
Auf der anderen Seite spielt es immer noch keine wirkliche Rolle, denn die Mannschaft ist im Soll. Sie hat zwar den Sprung auf den siebten Platz verpasst aber immerhin ist sie in der oberen Tabellenhälfte angekommen.
Ich bleibe weiterhin dabei, dass ein Aufstieg dieses Jahr zu früh kommen würde. Eine ersthafte Auseinandersetzung mit den ersten drei Plätzen und einer langfristen Perspektive in der ersten Liga ist sicher erst 2014 realistisch. Solange die Mannschaft aus diesen kleinen Fehler lernt, das Gesamtgerüst festigt und weiterhin den Kampf annimmt ist das auch völlig in Ordnung so, denn so macht es einfach Spaß zu sehen, was werden kann. Ich will nicht in Euphorie verfallen, das ist bei mir noch nie gut gegangen aber es war wirklich ein richtig anständiges Spiel der Mannschaft.
Das Ergebnis stelle ich also mal hinten an, ich will lieber mal explizites Lob aussprechen: Ishak hat mir gut gefallen. Er belohnt sich zwar noch nicht, zeigt aber große Bereitschaft, ist sehr flexibel, versucht immer abzuschließen. Irgendwann geht einer rein, ich bin sicher. Ich habe den Mann immer noch auf der Rechnung.
Auch Clemens hat mir gestern gut gefallen. Er hat dann endlich mal das Glück, dass ein unfassbar krummer Ball den Weg ins Tor findet aber er hat es sich in diesem Spiel auch erarbeitet. Er hat den Erfolg praktisch herbeigekämpft. Sehr gut. Weitermachen!
Das positivste war aber sicher die Körpersprache der Mannschaft. Schon zu Beginn war zu spüren, dass das Team unbedingt will, dass auch ein Rückstand keinen Bruch in das Spiel bringen kann. Es scheint tatsächlich ein neuer Geist durch Müngersdorf zu wehen. Was haben wir da lange drauf gewartet.
Nun muss der FC am Freitag zeigen, dass man auch auf einem Dorfbolzplatz die Leistung bestätigen kann. Das nächste Spiel ist in Sandhausen. Ich möchte nicht von einem “Pflicht”sieg sprechen aber die vergleichenden Leistungen der letzten Wochen hieven uns dann doch in die Favoritenposition. Los, Jungs. Belohnt Euch diesmal! Come on FC!
Achja: Und heute ist JHV. Diese sollte einigermaßen harmonisch ablaufen, nehme ich an. Es besteht kein Grund sich an die Gurgel zu gehen. Ich bin nur mal gespannt in wie weit die Zustimmung der Vereinsführung zum “Sicherheitskonzept” und die Ablehnung der Fans zur Sprache kommt und ob es da laut wird.
du schreibst immer so schön
Es sind diese drei Minuten, die eine junge, neue, noch etwas naive Mannschaft vom abgezockten Tabellenführer unterscheidet. Dass diese junge, noch etwas naive Mannschaft aber insbesondere in der zweiten Halbzeit in der Lage war dem Tabellenführer Paroli zu bieten finde ich persönlich sehr schön.
Und irgendwie ist es auch besser so. Aus solchen herben, “gefühlten Niederlagen” lernt diese Mannschaft sicher mehr als aus sicheren Siegen. Und was noch viel wichtiger ist: die Presse hält vielleicht dieses Jahr endlich die Klappe von wegen “direkter Wiederaufstieg”. Ich kann es nicht mehr hören …
Ein direkter Wiederaufstieg käme viel zu früh für dieses Team. Aber noch ein Jahr in hoffentlich möglichst ähnlicher Besetzung und dann…